Die Sommeroffensive der Ukraine ist gescheitert, jetzt hat Russland die Initiative übernommen. Doch den Verteidiger:innen fehlt es an Waffen und Munition, die Bereitschaft des Westens, Kampfmittel zu schicken, nimmt ab. Die Drohung, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine ausbluten lässt und den Krieg gewinnt, steht im Raum.

In dieser Situation ließ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt Ungewöhnliches anklingen: Er schloss den Einsatz von Bodentruppen nicht mehr aus. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“, so Macron.

Will der Mann im Elysée-Palast tatsächlich einen direkten Krieg der NATO mit Russland? Seine Aussage kann so gedeutet werden. Und genau das hat Macron gewollt. Nach dem Motto: Wer den Einsatz eines Machtmittels von vornherein ausschließt, zieht automatisch den Kürzeren. Vor allem dann, wenn man es mit einem skrupellosen Menschen wie dem russischen Staatschef Wladimir Putin zu tun hat.

Großen Eindruck hat Macron mit seinem Vorstoß in Moskau nicht gemacht: Seine europäischen Amtskolleg:innen ließen schnell verkünden, dass keine Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine geplant wäre. Auch der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte das klar. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg forderte eine „diplomatische Perspektive“.

Die Initiative Macrons ist in seiner Wirkung verpufft.

Das sieht auch die Expertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) so. „Man hat gemerkt, dass nicht verstanden wurde, was Macron gefordert hat. Es ist mehr ein Signal an Moskau und kein Vorschlag“, so die Expertin mit Sitz in Paris gegenüber der WZ.

Macron ist jedenfalls nicht der Einzige, der die Drohkulisse eines direkten europäischen Eingreifens in den Krieg aufbauen will. Das erkennt man daran, dass sich osteuropäische Länder mit Kritik an Macron zurückhalten. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas zeigte sich in einem Interview mit Politico sogar verständnisvoll. Im Baltikum und im Osten Europas hat man die größte Angst davor, von Russland direkt angegriffen zu werden.

Generell haben osteuropäische Staaten eine andere Sicherheitswahrnehmung gegenüber Russland. Sie haben in der Sowjet-Ära als Teil des Warschauer Pakts lang unter dem Moskauer Despotismus gelitten und schon früh vor der Gefahr, die von Putin ausgeht, gewarnt. Zu diesem Zeitpunkt gab man sich im Westen noch Illusionen von einer friedlichen Lösung der Ukraine-Krise hin.

Generell nimmt Politologin Franke die Situation in Europa zwiespältig, als Gefühl zwischen „Gas und Bremse“, wahr. Es gäbe ein Gefühl von Dringlichkeit zu handeln, aber gleichzeitig nicht zu viel Dringlichkeit im Handeln. Vor allem, wenn es darum geht, militärische Unterstützung zu schicken, wird gezögert.

Putin selbst hat auf den Vorstoß Macrons jedenfalls so reagiert, wie man es von ihm erwartet: Wenn sich der Westen dazu entscheiden würde, Truppen in die Ukraine zu senden, droht „der Einsatz von Atomwaffen und die Zerstörung der Zivilisation“, so Putin. „Westliche Länder müssen erkennen, dass wir auch Waffen haben, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können“, sagte der Kremlherr in seiner Rede zur Lage der Nation.

Treibt Macron ein Spiel mit dem Feuer? Was, wenn seine Drohung im Kreml missverstanden wird und es wirklich zu einer direkten Konfrontation kommt? Oberst Berthold Sandtner vom Österreichischen Bundesheer beruhigt: „Kriege haben immer einen Auslöser und eine Ursache. Die Wurzeln liegen tief und dahinter steckt eine komplexere Vorgeschichte“, so der Militäranalyst im Interview. Aus Missverständnissen seien tatsächlich noch keine Kriege entstanden. Die Aussage Macrons hätte aber zumindest das russische Narrativ bedient. „Russland sieht sich in einem Kampf gegen das Wertesystem des Westens“, so der Oberst.

Putins größenwahnsinnige Vorstellungen würden nicht in der Ukraine aufhören. „Es ist an der Zeit, mit der Naivität aufzuhören – Putin wird zu Lebzeiten nicht aufgeben“, sagt Andrey Kurkov, ein ukrainischer Bestsellerautor aus Kiew, kürzlich im Interview mit The Telegraph.

Dessen seien sich die Länder des Baltikums bewusst. In den NATO-Ländern Estland, Lettland und Litauen wird aufgerüstet. Rund 3.000 NATO-Soldat:innen sind hier zusätzlich stationiert und stehen Gewehr bei Fuß, um auf einen eventuellen russischen Angriff reagieren zu können.

Aber auch US-Präsident Joe Biden weiß um die Gefährlichkeit Putins – und wollte es in seiner energischen Rede zur Lage der Nation klarstellen. „Wir werden nicht weggehen. Wir werden uns nicht beugen“, sagte der 81-Jährige und wandte sich direkt an Putin.

Ob es bei ihm für eine Wiederwahl reicht, ist nicht klar. Dass Trump kein Fan der NATO ist, hat er mehrmals unterstrichen. Nicht zuletzt, als er Putin zum Einmarsch in NATO-Mitgliedstaaten ermutigte, die ihre Verteidigungsausgabenziele nicht erreichen. Lange Zeit konnten die europäischen NATO-Länder auf die Hilfe der USA zählen. Das ist mittlerweile anders und sorgt für Verunsicherung.

Für die EU könnte es daher kritisch werden, sollte Trump wiedergewählt werden. Der politische Betrieb der EU wurde in Friedenszeiten für Friedenszeiten gebaut, weswegen die bürokratischen Prozesse sehr lang sein können und die Aufrüstung nur schleppend vorangeht.

In Österreich wird zunehmend ein Bewusstsein dafür geschaffen. Das Bundesheer hat zuletzt eine große Anzahl neuer Pandur-Panzer gekauft und die Luftabwehr verstärkt. Die militärische Landesverteidigung wird stärker priorisiert und im neuen Risikobild des Verteidigungsressorts wurde eine klare Strategie für die nächsten Jahre ausgelegt: „Vorbereitung, Vorbereitung und Vorbereitung.“ Das heißt in erster Linie, dass neues Material angeschafft wird. Mit der Bedrohung durch Russland im Nacken ist die Freigabe zusätzlicher Budgetmittel derzeit kein Problem.

Weiterhin sind aber nur die wenigsten Österreicher:innen persönlich bereit, das Land mit der Waffe zu verteidigen. Das hat eine im Pragmaticus erschienene Umfrage festgestellt. Zwischen Worten und Taten liegen eben oft Welten.

QOSHE - NATO und Russland: Wie wahrscheinlich ist ein direkter Krieg? - Dennis Miskić
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NATO und Russland: Wie wahrscheinlich ist ein direkter Krieg?

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24.03.2024

Die Sommeroffensive der Ukraine ist gescheitert, jetzt hat Russland die Initiative übernommen. Doch den Verteidiger:innen fehlt es an Waffen und Munition, die Bereitschaft des Westens, Kampfmittel zu schicken, nimmt ab. Die Drohung, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine ausbluten lässt und den Krieg gewinnt, steht im Raum.

In dieser Situation ließ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt Ungewöhnliches anklingen: Er schloss den Einsatz von Bodentruppen nicht mehr aus. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“, so Macron.

Will der Mann im Elysée-Palast tatsächlich einen direkten Krieg der NATO mit Russland? Seine Aussage kann so gedeutet werden. Und genau das hat Macron gewollt. Nach dem Motto: Wer den Einsatz eines Machtmittels von vornherein ausschließt, zieht automatisch den Kürzeren. Vor allem dann, wenn man es mit einem skrupellosen Menschen wie dem russischen Staatschef Wladimir Putin zu tun hat.

Großen Eindruck hat Macron mit seinem Vorstoß in Moskau nicht gemacht: Seine europäischen Amtskolleg:innen ließen schnell verkünden, dass keine Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine geplant wäre. Auch der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte das klar. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg forderte eine „diplomatische Perspektive“.

Die Initiative Macrons ist in seiner Wirkung verpufft.

Das sieht auch die Expertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) so. „Man hat gemerkt, dass nicht........

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