Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag hat im Verfahren, das Südafrika wegen des Gazakriegs gegen Israel angestrengt hat, ein erstes Teilurteil gesprochen. In Paris laufen Verhandlungen über eine zweimonatige Feuerpause in Gaza, im Gegenzug soll die Hamas hundert Geiseln freigeben. Bei einem Drohnenangriff auf US-Truppen in Jordanien kamen drei Soldaten ums Leben, 34 weitere wurden verletzt.

Drei Fakten aus der jüngsten Zeit, die eng mit der Agenda zusammenhängen, Israel und seine Nachbarstaaten zu destabilisieren.

Bei einer Bewertung der Vorgänge ist Vorsicht geboten. Das zeigt sich schon daran, wie unterschiedlich das erste Teilurteil des Internationalen Gerichtshofs interpretiert werden kann: „Schwere Rüge für Israel“ titelt die Süddeutsche Zeitung; „Internationaler Gerichtshof: Kein Ende der Kämpfe in Gaza“ schreibt die taz und insinuiert angesichts des südafrikanischen Begehrens, Israel zum Waffenstillstand zu verurteilen, einen Teilerfolg Israels; „Israel muss humanitäre Hilfe für Gazastreifen ermöglichen“ stellt der „Spiegel“ als Faktum fest.

Tatsächlich hat der Internationale Gerichtshof Israel nicht zum Ende des Kriegs gegen die Hamas im Gazastreifen verpflichtet, wohl aber dazu, die Zivilbevölkerung bei den Kampfhandlungen besser als bisher zu schützen und humanitäre Hilfe zuzulassen.

Dieses Urteil versucht, allen Seiten, auch der der UNO, gerecht zu werden. Die UNO nämlich könnte eine Einstellung der Kampfhandlungen kaum durchsetzen. Das Urteil versucht einerseits, eine Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen zu erreichen, die Israel zumutbar ist, andererseits ist es der Versuch, Israel vor dem Begehen eines Völkermordes zu schützen.

Solche Vorwürfe bestehen bereits jetzt, und die Art der Kriegführung mit einer Zerstörung auch der zivilen Infrastruktur könnte die Vermutung aufkommen lassen, Israel wolle den Gazastreifen mit Absicht unbewohnbar machen – ganz, wie es der israelische Landwirtschaftsminister Avi Dichter, Mitglied der Likud des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, sagte: „Wir führen jetzt die Gaza-Nakba aus.“

Dementsprechend ist die große Frage, wie Netanjahu auf das Teilurteil von Den Haag reagiert. Auf Facebook postete er rund zwei Tage nach dem Urteil, ohne sich direkt auf den Internationalen Gerichtshof zu beziehen: „Israel hat, wie jedes souveräne Land, das Grundrecht, sich zu verteidigen. Niemand wird uns das sofort nehmen und niemand wird uns davon abhalten, es auszuüben.“ Und wenig später postete er einen Clip von einem Gottesdienst mit dem Text: „Beten für den Frieden unserer heldenhaften Soldaten – bis zum absoluten Sieg!“

Vor diesem Hintergrund finden in Paris unter Leitung der USA Gespräche über eine befristete Waffenruhe in Gaza statt. Durchgesickert ist ein zweistufiger Plan, demzufolge die Hamas in den ersten 30 Tagen die noch in ihrer Gewalt befindlichen israelischen Frauen sowie alte und kranke bzw. verletzte Menschen freigibt, im Gegenzug entlässt Israel 240 inhaftierte Palästinenser:innen. Sodann folgen weitere 30 Tage Waffenruhe, in denen die Hamas die restlichen Geiseln freilässt, abermals im Gegenzug für die Freilassung inhaftierter Palästinenser:innen aus israelischen Gefängnissen.

Bleibt die Frage, wie es danach weitergeht. Jedenfalls zeichnet sich kein Ausstiegsszenario ab. Denn im Moment sieht es so aus, dass die Fortsetzung des Kriegs für alle Seiten immer noch die größten Vorteile verspricht. Je mehr menschliches Leid Israel im Gazastreifen verursacht, desto mehr gelingt es der Hamas, Israel vor den Augen der Welt ins Unrecht zu setzen. Für die Hamas spielt daher die Zahl der Toten nur dann eine Rolle, wenn sie hoch ist.

Was Netanjahu betrifft, so ist es unwahrscheinlich, dass israelische Gerichte das Verfahren wegen Korruption, das gegen ihn läuft, noch während der Militäraktion auf eine Weise zu Ende bringen, die der Krise des Kriegs eine Krise der Staatsführung hinzufügen würde. Als unnachgiebiger Verteidiger Israels sitzt Netanjahu relativ sicher im Sattel, während ein Abrücken vom erklärten Kriegsziel, die Hamas oder zumindest ihre Infrastruktur zu zerstören, einen für „King Bibi“ inakzeptablen Gesichtsverlust bedeuten würde.

Der Iran wiederum könnte von einer Destabilisierung der gesamten Region profitieren. Nach dem seit der Antike wohlbekannten Motto „divide et impera” (lateinisch für „säe Zwietracht und herrsche”), scheint der Iran eher am Schüren von Konflikten als an ihrer Lösung interessiert. Die Beteiligung am Drohnenangriff auf US-Truppen in Jordanien hat der Iran zwar abgestritten, doch dass er indirekt die Fäden gezogen hat, darf vermutet werden. Immerhin haben sich pro-iranische Milizen zu dem Angriff bekannt.

Dass die ohnedies weltpolizei-müden USA ausgerechnet in einem Wahljahr in eine größere militärische Auseinandersetzung hineingezogen werden, kann nicht im Interesse des sich in rund neun Monaten zur Wiederwahl stellenden Präsidenten Joe Biden sein.

So scheinen sich im Moment alle Seiten entweder von der Fortsetzung des Gaza-Kriegs Vorteile auszurechnen, oder sie sind in ihren Handlungsmöglichkeiten zu eingeschränkt, um eine schnelle Lösung herbeizuführen.

Leidtragende in dem Strategiespiel zur Neuordnung der Region, das mit lebenden Menschen durchgeführt wird, sind die Zivilist:innen in Gaza. Zu hoffen ist, dass das Urteil des Internationalen Gerichtshofs daran etwas ändert.

Zu befürchten ist seine Wirkungslosigkeit.

QOSHE - Das erste Israel-Urteil ändert nichts an den Kriegs-Interessen - Edwin Baumgartner
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Das erste Israel-Urteil ändert nichts an den Kriegs-Interessen

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31.01.2024

Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag hat im Verfahren, das Südafrika wegen des Gazakriegs gegen Israel angestrengt hat, ein erstes Teilurteil gesprochen. In Paris laufen Verhandlungen über eine zweimonatige Feuerpause in Gaza, im Gegenzug soll die Hamas hundert Geiseln freigeben. Bei einem Drohnenangriff auf US-Truppen in Jordanien kamen drei Soldaten ums Leben, 34 weitere wurden verletzt.

Drei Fakten aus der jüngsten Zeit, die eng mit der Agenda zusammenhängen, Israel und seine Nachbarstaaten zu destabilisieren.

Bei einer Bewertung der Vorgänge ist Vorsicht geboten. Das zeigt sich schon daran, wie unterschiedlich das erste Teilurteil des Internationalen Gerichtshofs interpretiert werden kann: „Schwere Rüge für Israel“ titelt die Süddeutsche Zeitung; „Internationaler Gerichtshof: Kein Ende der Kämpfe in Gaza“ schreibt die taz und insinuiert angesichts des südafrikanischen Begehrens, Israel zum Waffenstillstand zu verurteilen, einen Teilerfolg Israels; „Israel muss humanitäre Hilfe für Gazastreifen ermöglichen“ stellt der „Spiegel“ als Faktum fest.

Tatsächlich hat der Internationale Gerichtshof Israel nicht zum Ende des Kriegs gegen die Hamas im Gazastreifen verpflichtet, wohl aber dazu, die Zivilbevölkerung bei den Kampfhandlungen besser als bisher zu schützen und humanitäre Hilfe........

© Wiener Zeitung


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