Der Ruf nach den starken Männern wird unter den Wähler:innen lauter. An der Spitze des Staates soll einer stehen, der den Volkswillen durchsetzt gegen ein übergeordnetes System, gegen Banken und Industrie, einer, der den kleinen Leuten ihre Stimme zurückgibt, einer, der alles richtet, was aus dem Lot geraten ist.

In den USA beispielsweise scharrt Donald Trump trotz der Erfahrungen der Amerikaner:innen mit seiner ersten Amtszeit zum zweiten Mal in den Startlöchern. Dass in Indien der Populist Narendra Damodardas Modi an der Macht ist, ist Europäer:innen weitestgehend aus dem Blickfeld geraten.

Was nichts daran ändert, dass der Populismus auch in Europa ein wesentliches Standbein hat: Selbst Wladimir Putin findet hier sogar außerhalb Russlands nach wie vor seine Anhänger:innen. Manch eine:r blickt sehnsüchtig nach Ungarn und meint, dass Viktor Orbán schon recht hat, wenn er lieber die EU erpresst und der Staatengemeinschaft auf der Nase herumtanzt, statt solidarisch zu sein. „So einen würden wir brauchen“, heißt es dann, ohne zu definieren, wer mit „wir“ gemeint ist. Denn „wir“ ist in solchen Fällen meist die weiße autochthone Bevölkerung, exklusive Jüdinnen und Juden sowie Muslim:innen, versteht sich.

In Österreich versteht es Herbert Kickl mittlerweile immer besser, mit überzeugender Rhetorik und aufrechter Körperhaltung Stärke zu suggerieren. Er hat die FPÖ in sämtlichen Umfragen an die Spitze geführt: Kickls Partei liegt bei 30 Prozent oder wenig darunter (gegenüber plus/minus 21 für ÖVP und SPÖ). Und das, obwohl Kickls Vertrauenswerte laut OGM mit minus 43 Prozent (gegenüber beispielsweise seinem Parteikollegen Norbert Hofer mit minus 18 Prozent) wenig berauschend sind.

Vom US-amerikanischen Thriller-Autor G. Michael Hopf stammt das Zitat: „Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer. Und schwache Männer schaffen harte Zeiten." In das politische Handwerk übersetzt heißt das: Wer als starker Mann punkten will, muss zuerst einmal den Wähler:innen die harten Zeiten einreden.

Das kann beispielsweise eine unmittelbare Bedrohung durch NATO- und EU-Bastionen in der Ukraine sein, der Verlust persönlicher Freiheit durch gesundheitspolitische Notmaßnahmen, die Implementierung von Gesetzen durch überstaatliche Organisationen wie die EU, eine Weltverschwörung von Industrie und Kapital, oder, falls keine anderen Themen zur Hand sind, die Überfremdung durch Zuwanderung.

Nachdem der starke Mann diese Themen hervorgeholt hat, verspricht er, sie zu zerschlagen, ganz wie seinerzeit Alexander der Große, ein starker Mann auch er, den Gordischen Knoten durchschlagen hat.

Nur was folgt, nachdem der starke Mann an die Macht gekommen ist, ist in der Regel ziemlich schwach. Dafür genügt ein Blick auf zwei Beispiele der jüngeren Geschichte.

Donald Trump etwa hat versprochen, Amerika wieder groß zu machen – und hätte aufgrund seiner Unberechenbarkeit und Sprunghaftigkeit das Land innen-, vor allem aber außenpolitisch gelähmt, wäre er nicht nach vier Jahren abgewählt worden. Vier Jahre sind zum Glück nicht genug, um eine Nation wie die USA herunterzuwirtschaften.

Dass Viktor Orbán nach wie vor im Amt ist, hat wiederum wenig mit der Begeisterung der Ungar:innen für ihn zu tun, als mit Oppositionsparteien, die es nicht schaffen, sich so weit zu konsolidieren, dass sie ihm Paroli bieten können. Während Orbán in der EU als starker Mann auftritt, der mit allen Methoden immer nur das Beste für „sein“ Ungarn herausverhandeln will, schafft er es nicht, Armut und Obdachlosigkeit im eigenen Land in den Griff zu bekommen. Es genügt eben nicht, Obdachlosigkeit per Gesetz zu verbieten, wie es Orbán im Jahr 2018 gemacht hat. Aus Berichten von Daily News Hungary und Amnesty International geht hervor, dass zwei Millionen Ungar:innen Wohnungsarmut erfahren, 70.000 von Obdachlosigkeit bedroht sind und 15.000 Menschen auf der Straße leben.

Es ist der Fluch des Populismus: Der starke Mann verspricht zwar, nach dem Willen des Volkes zu regieren – nur ist „sein“ Volk nicht identisch mit dem Volk des Staates. Was der starke Mann erreichen kann, ist allenfalls, mit seinen Anhänger:innen eine Gemeinschaft zu bilden und im Fall, dass er an die Macht kommt, die gemeinsamen Ressentiments umzusetzen: So grenzt die Orbán-Gemeinschaft Homo- und Intersexuelle ebenso aus wie Roma. Dass Orbán noch dazu Universitäten, Medien, Kunst und Kultur nach seinen Vorstellungen gängelt, ist ein Grundzug aller Populisten, sollten sie an die Macht kommen: Ihnen und ihren Anhänger:innen ist zwangsläufig alles verdächtig, was sie als einen Beitrag zur intellektuellen Diskussionskultur verstehen.

Putin hat das minutiös vorexerziert: Sukzessive hat er alle Medien unter seine Kontrolle gebracht; zusätzlich drangsaliert er kritische Künstler:innen, die dann sogar im Gefängnis landen können. So ist es etwa der Musikerin Alexandra Skotschilenko ergangen, die als offen lesbisch lebende Frau von vornherein nicht in das System Putin passte. Wegen ihres Antikriegsprotests wurde sie 2023 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.

Doch Stärke zeigt sich gerade in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen und Meinungen. Was die starken Männer ziemlich schwach aussehen lässt.

In wenigen Fällen schien es freilich, als wäre der der starke Mann des Populismus eine Frau: So geschehen in Italien, wo die Postfaschistin Giorgia Meloni seit 22. Oktober 2022 als Ministerpräsidentin (und erste Frau in diesem Amt) regiert. Macht sie es tatsächlich besser als die männlichen Populisten-Kollegen oder macht sie es nur geschickter?

Außenpolitisch huldigt Meloni dem reinen Pragmatismus: Weg von der EU – das war einmal. Jetzt ist sie pro-europäisch, als wäre die Staatengemeinschaft ihr liebstes Kind. Meloni wird ebenso ein gutes Verhältnis zum demokratischen US-Präsidenten Joe Biden nachgesagt wie zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Meloni verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und plädiert dafür, die Ukraine zu unterstützen. Und dass sie in ihrer Ansprache zum Amtsantritt zum Faschismus Mussolinis in Distanz ging, fördert zusätzlich ihre internationale Hoffähigkeit. Da bezeichnete sie, die 1996 als 19-Jährige in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender Soir 3 geplappert hatte, dass Mussolini der beste Politiker der letzten 50 Jahre gewesen sei, dessen antisemitische Rassegesetze als „tiefsten Punkt in der italienischen Geschichte, eine Schande, die das italienische Volk für immer zu tragen habe“. Das hörte man europaweit gern und weltweit wohl auch.

Doch vor lauter Begeisterung darüber, dass man in Meloni, entgegen allen Erwartungen, eine Partnerin gefunden hat, mit der sich vorzüglich internationale Politik machen lässt, übersieht man ihre innenpolitischen Maßnahmen. So bekommt Meloni , entgegen ihrem Wahlversprechen, zwar das Migrationsproblem nicht in den Griff, da in Italien mehr Migrant:innen ankommen denn je zuvor; dafür verschärft sie die Sprache gegen Geflüchtete und droht mit „außergewöhnlichen Maßnahmen“ und verschärfter Abschiebehaft. Dazu kommt das populismustypische Sekkieren von Homosexuellen: Leihmutterschaft im Ausland soll als „universelles Delikt“ mit Gefängnis geahndet werden – aufgrund der Gesetzeslage ist für die meisten homosexuellen Paare in Italien die Leihmutterschaft im Ausland die einzige Chance auf ein Kind. Argumentiert wird das mit dem Verbot des Menschenhandels, der als ein solches „universelles Delikt“ gilt.

Verbote, wohin man schaut: Die Verwendung von Fremdwörtern soll Behörden, Schulen und Staatsfernsehen untersagt werden – und zwar unter Strafandrohung. Wie ohnedies jedes Vergehen mit unverhältnismäßig hohen Strafen bedroht ist: Zwei Jahre Gefängnis für Eltern, die nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder regelmäßig in die Schule gehen; sechs Jahre Haft für eine nicht bewilligte Rave-Party. „Mehr Knast für alle!", höhnte der „Corriere della Sera“.

Was so auch wieder nicht stimmt. Denn als sich im Jänner dieses Jahres die Casa Pound und andere neofaschistische Gruppierungen in Rom zur großen Parade vereinigten, obwohl die „Verherrlichung des Faschismus“ in Italien seit Jahrzehnten ein Straftatbestand ist, schwieg Meloni so laut, dass es allen aufrechten Demokrat:innen in den Ohren gellen musste. Von Gerichtsverfahren gegen Teilnehmer:innen ist ebenfalls nichts bekannt.

So bleibt nur die Lehre, dass der Populismus, egal, ob er sich im weiblichen oder männlichen Geschlecht inkarniert, letzten Endes seiner eigenen Ideologie dient. Dem Volk kommt dabei bestenfalls eine Statistenrolle zu.

Das gilt es zu bedenken. Gerade in Österreich. Gerade in einem Wahljahr.

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Starke Männer verstehen nichts von Demokratie

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14.04.2024

Der Ruf nach den starken Männern wird unter den Wähler:innen lauter. An der Spitze des Staates soll einer stehen, der den Volkswillen durchsetzt gegen ein übergeordnetes System, gegen Banken und Industrie, einer, der den kleinen Leuten ihre Stimme zurückgibt, einer, der alles richtet, was aus dem Lot geraten ist.

In den USA beispielsweise scharrt Donald Trump trotz der Erfahrungen der Amerikaner:innen mit seiner ersten Amtszeit zum zweiten Mal in den Startlöchern. Dass in Indien der Populist Narendra Damodardas Modi an der Macht ist, ist Europäer:innen weitestgehend aus dem Blickfeld geraten.

Was nichts daran ändert, dass der Populismus auch in Europa ein wesentliches Standbein hat: Selbst Wladimir Putin findet hier sogar außerhalb Russlands nach wie vor seine Anhänger:innen. Manch eine:r blickt sehnsüchtig nach Ungarn und meint, dass Viktor Orbán schon recht hat, wenn er lieber die EU erpresst und der Staatengemeinschaft auf der Nase herumtanzt, statt solidarisch zu sein. „So einen würden wir brauchen“, heißt es dann, ohne zu definieren, wer mit „wir“ gemeint ist. Denn „wir“ ist in solchen Fällen meist die weiße autochthone Bevölkerung, exklusive Jüdinnen und Juden sowie Muslim:innen, versteht sich.

In Österreich versteht es Herbert Kickl mittlerweile immer besser, mit überzeugender Rhetorik und aufrechter Körperhaltung Stärke zu suggerieren. Er hat die FPÖ in sämtlichen Umfragen an die Spitze geführt: Kickls Partei liegt bei 30 Prozent oder wenig darunter (gegenüber plus/minus 21 für ÖVP und SPÖ). Und das, obwohl Kickls Vertrauenswerte laut OGM mit minus 43 Prozent (gegenüber beispielsweise seinem Parteikollegen Norbert Hofer mit minus 18 Prozent) wenig berauschend sind.

Vom US-amerikanischen Thriller-Autor G. Michael Hopf stammt das Zitat: „Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer. Und schwache Männer schaffen harte Zeiten." In das politische Handwerk übersetzt heißt das: Wer als starker Mann punkten will, muss zuerst einmal den Wähler:innen die harten Zeiten einreden.

Das kann beispielsweise eine unmittelbare Bedrohung durch NATO- und EU-Bastionen in der........

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