Joe Biden drängt: Lieber heute als morgen sähe der Präsident der USA den Krieg, den Israel im Gazastreifen gegen die Hamas führt, beendet. Immer hektischer laufen die Verhandlungen in Katar. Ein Durchbruch, der eben noch in Sicht gewesen sein soll, wird im Handumdrehen dementiert. Eine Waffenruhe zu Beginn des Ramadan am 10. März wird ins Auge gefasst. Doch was soll dann mit Rafah geschehen? Die südlichste Stadt des Gazastreifens wurde zuerst von der israelischen Armee zur sicheren Zufluchtsstätte für die palästinensische Zivilbevölkerung erklärt. Nun ist sie heillos überbevölkert – und mit einem Mal nicht mehr sicher, sondern sie gilt als letztes Kriegsziel der israelischen Armee.

Die Verwüstungen sind unbeschreiblich: „Der Gazastreifen ist buchstäblich in Dunkelheit getaucht. Die Analyse (von Satellitenbildern, Anm.) verdeutlicht die weitreichenden Schäden an der Infrastruktur und der Wirtschaft, was das Überleben der Menschen zu einem täglichen Kampf macht“, schildert Hiba Tibi, Länderdirektorin von CARE Westbank und Gaza. Rund 2,2 Millionen Menschen – das ist die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens – sind unmittelbar vom Hungertod bedroht.

Biden geht es nicht allein darum, dieses Leid der Zivilist:innen im Gazastreifen zu lindern: Er hat mindestens ebenso die Innenpolitik im Blick. Im November muss er sich Wahlen stellen. Je länger er vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vorgeführt wird, den dessen Anhänger:innen am liebsten „King Bibi“ nennen, desto besser stehen die Chancen für Bidens Herausforderer Donald Trump auf die Präsidentschaft der USA. Dass Netanjahu ohnedies den unberechenbaren Selbstdarsteller vorziehen würde, ist ein offenes Geheimnis.

Was auf Biden zukommen kann, hat sich jüngst bei den Vorwahlen der Demokraten in Michigan am 27. Februar gezeigt: Zwar ist er als amtierender Präsident de facto konkurrenzlos in der eigenen Partei. Doch angesichts dessen sind 80 Prozent Zustimmung ein Ergebnis, das zu denken gibt. Biden gerät innerparteilich zunehmend zwischen die Fronten: Können die einen nicht verstehen, dass er Israel immer noch unterstützt, rücken andere von ihm ab, weil sie sein Bekenntnis zu Israel für zu lasch halten. Damit ist Bidens Bibi-Problem manifest geworden. Jede:r Wähler:in, die aus einem dieser beiden Gründe am 5. November nicht für Biden stimmt, bedeutet einen Gewinn für Donald Trump. Sollte das Rennen in acht Monaten immer noch so knapp sein, wie es sich derzeit abzeichnet (laut New York Times aktuell 48 Prozent für Trump und 43 Prozent für Biden), könnte sich Bidens Schicksal nicht in den USA, sondern im Gazastreifen entscheiden.

Seit Netanjahu 2022 seine Ultra-rechts-Regierung gebildet hat, waren er und Biden einander nicht mehr grün und sind es jetzt weniger denn je. Jüngst wurde der israelische Politiker Benny Gantz, Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, von der US-amerikanischen Vizepräsidentin Kamala Harris zu Beratungsgesprächen über den Gaza-Krieg empfangen. Die Pikanterie: Gantz gilt als Konkurrent Netanjahus und hat mittlerweile weit höhere Beliebtheitswerte als der amtierende Ministerpräsident.

Unterdessen wird aus Bidens Umfeld sogar von Schimpftiraden auf den israelischen Ministerpräsidenten berichtet. Was Biden dermaßen erbost: Netanjahu lässt die israelische Armee mit äußerster Brutalität vorgehen, schlägt alle Aufforderungen in den Wind, die Kämpfe mit Vernunft und Augenmaß zu führen, und hat obendrein bisher keinen in Bidens Verständnis tauglichen Nachkriegsplan vorgelegt.

Nicht, dass Netanjahu gar keinen Plan artikuliert hätte. Seine Vorstellungen sind: Israel behält die volle Sicherheitskontrolle über den Gazastreifen und das Westjordanland, die Palästinenser:innen werden entwaffnet, es wird eine Pufferzone eingerichtet, die israelische Armee bekommt die Erlaubnis, jederzeit Operationen durchzuführen, und Israel betraut Palästinenser:innen aus einflussreichen Familien ohne Nähe zur Hamas mit der zivilen Verwaltung im Gazastreifen.

Bei diesem Plan handelt es sich de facto um eine Besetzung der Palästinensergebiete durch Israel.

Genau das lehnen die USA nach den eigenen leidvollen Erfahrungen im Irak ab. Außenminister Antony Blinken lässt keinen Zweifel an der unveränderten Position der Vereinigten Staaten: „Es sollte keine israelische Wiederbesetzung von Gaza geben", sagte er beim Treffen der Außenminister der G-7-Staaten im November 2023, und im Jänner 2024 bei einem Besuch in Nigeria meinte er in Bezug auf eine Pufferzone im Gazastreifen: „Die Größe des Gaza-Territoriums sollte nicht reduziert werden.“

Was Netanjahus Plan bedeuten würde, artikuliert der aus Gaza gebürtige amerikanische Schriftsteller Ahmed Fouad Alkhatib in einem Posting auf X (vormals Twitter). Seiner Auffassung nach wäre die dauerhafte israelische Militärbesetzung nicht das einzige Problem: Selbst, wenn sich genügend Palästinenser:innen in Gaza bereit erklären würden, in solchen Verwaltungen mitzuwirken, könnten sie das nur mit der vollen Unterstützung durch Israel. Das bedeutet, dass sie als Kollaborateur:innen der israelischen Besatzung wahrgenommen würden, sie hätten keinen Rückhalt in der eigenen Bevölkerung und müssten mit Konsequenzen für ihre eigene Sicherheit rechnen.

Detailliert ausgereift scheint indessen der Plan der Biden-Regierung ebenfalls nicht. Er verspricht Israel als Antwort auf den Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 einen Sieg in drei Etappen: Abzug aus Gaza, Fortschritte im israelisch-palästinensischen Verhältnis und Integration in eine starke lokale Koalition von Israel, Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien unter dem Schutz der USA. Verhandlungspartnerin auf Seite der Palästinenser:innen wäre nach amerikanischen Vorstellungen eine reformierte Palästinensische Autonomiebehörde. In Netanjahus Ohren klingt der Biden-Plan nach der ungeliebten humanitären Waffenruhe, die für ihn nur eine Atempause für Terrorist:innen darstellt, und nach der verhassten Zwei-Staaten-Lösung. Auch der Abzug aus Gaza, in dem Biden – nach den Irak- und Afghanistan-Erfahrungen der USA – einen Vorteil gegenüber einer dauerhaften Besatzung mit einer großen Zahl toter und verwundeter Besatzungssoldat:innen zu erkennen glaubt, nimmt sich für Netanjahu anders aus: Ihn hat die Geschichte Israels gelehrt, dass der einseitige Rückzug ohne eine Verhandlungslösung zwei Terrororganisationen der Palästinenser:innen entstehen hat lassen: 2000 nach dem Rückzug aus dem Libanon die Hisbollah und 2005 nach dem Rückzug aus Gaza die Hamas. Mittlerweile scheint Netanjahu zu befürchten, Biden könnte den amerikanischen Forderungen mit einem mit Israel nicht abgesprochenen Zugehen auf die Palästinenser:innen oder gar der Anerkennung eines Palästinenserstaats Nachdruck verleihen.

Doch wie Biden, so gerät auch Netanjahu in eine Lage, die ihm zunehmend Spielräume nimmt: Israel leidet immer noch unter dem Trauma des 7. Oktobers. Jetzt eine Zweistaatenlösung nur anzudenken, käme für viele Israelis keineswegs einer Belohnung für den schlimmsten Terrorakt gleich, den Israel jemals erlebt hat. Zudem verfangen die Beschwichtigungsversuche, die israelische Regierung würde alles unternehmen, um die immer noch mehr als 130 Geiseln zu befreien, nicht mehr. Längst ist jedem klar, dass „alles“ nicht nur einen mit äußerster Härte geführten Krieg, sondern auch Verhandlungen einschließen würde.

Solche Verhandlungen, die, sollen sie erfolgreich sein, Zugeständnisse an die Terrororganisation beinhalten würden, wären allerdings ein Abweichen von Netanjahus mehrfach bekundetem Ziel eines „totalen Sieges“ über die Hamas, der in Netanjahus Verständnis einzig und allein die Antwort auf den Terror des 7. Oktobers sein kann. Zudem regiert Netanjahu auf der Basis einer weit rechts stehenden Koalition, in der etliche Mitglieder den Gazastreifen nicht einmal besetzen, sondern ganz räumen und israelisch besiedeln wollen. Auch sie muss Netanjahu bändigen.

In Netanjahus Ohren klingt der Biden-Plan nach der ungeliebten humanitären Waffenruhe, die für ihn nur eine Atempause für Terroristen darstellt, und nach der verhassten Zwei-Staaten-Lösung. Auch der Abzug aus Gaza, in dem Biden - nach den Irak- und Afghanistan-Erfahrungen der USA - einen Vorteil gegenüber einer dauerhaften Besatzung mit einer großen Zahl toter und verwundeter Besatzungssoldat:innen zu erkennen glaubt, nimmt sich für Netanjahu anders aus: Ihn hat die Geschichte Israels gelehrt, dass der einseitige Rückzug ohne eine Verhandlungslösung zwei Terrororganisationen der Palästinenser:innen entstehen hat lassen: 2000 nach dem Rückzug aus dem Libanon die Hisbollah und 2005 nach dem Rückzug aus Gaza die Hamas. Mittlerweile scheint Netanjahu zu befürchten, Biden könnte den amerikanischen Forderungen mit einem mit Israel nicht abgesprochenen Zugehen auf die Palästinenser:innen oder gar der Anerkennung eines Palästinenserstaats Nachdruck verleihen.

Doch wie Biden, so gerät auch Netanjahu in eine Lage, die ihm zunehmend Spielräume nimmt: Israel leidet immer noch unter dem Trauma des 7. Oktobers. Jetzt eine Zweistaatenlösung nur anzudenken, käme für viele Israelis keineswegs nur konservativer Einstellung einer Belohnung für den schlimmsten Terrorakt gleich, den Israel jemals erlebt hat. Zudem verfangen die Beschwichtigungsversuche, die israelische Regierung würde alles unternehmen, um die immer noch mehr als 130 Geiseln zu befreien, nicht mehr. Längst ist jedem klar, dass „alles“ nicht nur einen mit äußerster Härte geführten Krieg, sondern auch Verhandlungen einschließen würde.

Solche Verhandlungen, die, sollen sie erfolgreich sein, Zugeständnisse an die Terrororganisation beinhalten würden, wären allerdings ein Abweichen von Netanjahus mehrfach bekundetem Ziel eines „totalen Sieges“ über die Hamas, der in Netanjahus Verständnis einzig und allein die Antwort auf den Terror des 7. Oktobers sein kann. Zudem regiert Netanjahu auf der Basis einer weit rechts stehenden Koalition, in der etliche Mitglieder den Gazastreifen nicht einmal besetzen, sondern ganz räumen und israelisch besiedeln wollen. Auch sie muss Netanjahu bändigen.

„Wir hören von Neugeborenen, die sterben, weil es keinen Strom für die Brutkästen gibt, von Kindern, die nicht mehr atmen, und von Müttern, die auf dem Operationstisch sterben, nur weil lebensrettende Maschinen abgeschaltet wurden“, sagt Tibi. Der Mangel an Elektrizität in den Krankenhäusern sei besonders besorgniserregend, da nur 12 von 36 Krankenhäusern noch teilweise in Betrieb sind und die verbleibenden ausgelastet sind.

Das ist die Realität im Gazastreifen. Netanjahu muss sich mit der Zeit fragen, ob er seine lange gerechtfertigte Argumentation, Israel würde sich gegen den Terror der Hamas nur verteidigen, angesichts dessen noch aufrecht halten kann.

QOSHE - Viel Wahnsinn mit wenig Methode: Die Pläne für Gaza  - Edwin Baumgartner
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Viel Wahnsinn mit wenig Methode: Die Pläne für Gaza 

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13.03.2024

Joe Biden drängt: Lieber heute als morgen sähe der Präsident der USA den Krieg, den Israel im Gazastreifen gegen die Hamas führt, beendet. Immer hektischer laufen die Verhandlungen in Katar. Ein Durchbruch, der eben noch in Sicht gewesen sein soll, wird im Handumdrehen dementiert. Eine Waffenruhe zu Beginn des Ramadan am 10. März wird ins Auge gefasst. Doch was soll dann mit Rafah geschehen? Die südlichste Stadt des Gazastreifens wurde zuerst von der israelischen Armee zur sicheren Zufluchtsstätte für die palästinensische Zivilbevölkerung erklärt. Nun ist sie heillos überbevölkert – und mit einem Mal nicht mehr sicher, sondern sie gilt als letztes Kriegsziel der israelischen Armee.

Die Verwüstungen sind unbeschreiblich: „Der Gazastreifen ist buchstäblich in Dunkelheit getaucht. Die Analyse (von Satellitenbildern, Anm.) verdeutlicht die weitreichenden Schäden an der Infrastruktur und der Wirtschaft, was das Überleben der Menschen zu einem täglichen Kampf macht“, schildert Hiba Tibi, Länderdirektorin von CARE Westbank und Gaza. Rund 2,2 Millionen Menschen – das ist die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens – sind unmittelbar vom Hungertod bedroht.

Biden geht es nicht allein darum, dieses Leid der Zivilist:innen im Gazastreifen zu lindern: Er hat mindestens ebenso die Innenpolitik im Blick. Im November muss er sich Wahlen stellen. Je länger er vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vorgeführt wird, den dessen Anhänger:innen am liebsten „King Bibi“ nennen, desto besser stehen die Chancen für Bidens Herausforderer Donald Trump auf die Präsidentschaft der USA. Dass Netanjahu ohnedies den unberechenbaren Selbstdarsteller vorziehen würde, ist ein offenes Geheimnis.

Was auf Biden zukommen kann, hat sich jüngst bei den Vorwahlen der Demokraten in Michigan am 27. Februar gezeigt: Zwar ist er als amtierender Präsident de facto konkurrenzlos in der eigenen Partei. Doch angesichts dessen sind 80 Prozent Zustimmung ein Ergebnis, das zu denken gibt. Biden gerät innerparteilich zunehmend zwischen die Fronten: Können die einen nicht verstehen, dass er Israel immer noch unterstützt, rücken andere von ihm ab, weil sie sein Bekenntnis zu Israel für zu lasch halten. Damit ist Bidens Bibi-Problem manifest geworden. Jede:r Wähler:in, die aus einem dieser beiden Gründe am 5. November nicht für Biden stimmt, bedeutet einen Gewinn für Donald Trump. Sollte das Rennen in acht Monaten immer noch so knapp sein, wie es sich derzeit abzeichnet (laut New York Times aktuell 48 Prozent für Trump und 43 Prozent für Biden), könnte sich Bidens Schicksal nicht in den USA, sondern im Gazastreifen entscheiden.

Seit Netanjahu 2022 seine Ultra-rechts-Regierung gebildet........

© Wiener Zeitung


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