Scheinwerferlicht, Ruhm, Reichtum und Selbstverwirklichung: Das ist eine verbreitete Vorstellung des Lebens als Künstler:in. Doch in Wahrheit erreichen nur wenige diesen Punkt. Der Großteil der Kunst- und Kulturschaffenden schrammt finanziell an der Armutsgrenze. Diesen Befund stellt die Wirtschaftsuniversität Wien anhand einer qualitativen Untersuchung aus, die die Kulturmetropole Wien als weitgehend prekären Arbeitsort für Künstler:innen entlarvt. Von 15 befragten Personen können nur zwei von ihrer Kunst leben, der Rest ist auf Nebenjobs angewiesen, sagt Studienautorin Evelyn Dawid im Gespräch mit der WZ.

Die Mehrheit der Kunstschaffenden in Wien lebt im Prekariat, und das nicht erst seit den Corona-bedingten Schließungen von Theatern, sondern als Dauerzustand. Sie haben 15 Personen dazu befragt. Was sagen sie? Würden Künstler:innen nahezu alles aushalten, um ihrem Traumjob nachgehen zu können?

So ist es wohl bis zu einem gewissen Grad. Da man seinen Job liebt, verschließt man vor dessen Schattenseiten die Augen. Jedoch hat die künstlerische Arbeit auch besonderen Charakter: Die Leute haben eine Ausbildung mit akademischem Abschluss, stehen auf der Bühne, bekommen Applaus für ihr Schaffen, haben Erfolg, man liest über sie in den Medien. Das sind keineswegs die Bilder, die man von Menschen hat, die in der Nähe von Armut leben. Und man muss wissen: Wenn man für den geringen Lohn nicht arbeitet, steht hinter einem schon der nächste bereit, den Job zu nehmen. Es gibt Interessenvertretungen, aber zugleich ist in der Kulturbranche jeder auf sich selbst gestellt. Alle kämpfen für sich selbst und ums Überleben. Kunstschaffende sind Individualisten. Sie leben in dem Bewusstsein, dass ihre Kunst besonders gut ist. In einem Ensemble ist es zwar schon Teamarbeit, aber jedes Ensemble hat ein Alleinstellungsmerkmal für sich.

Schützen Bildung und Ruhm vor Armut nicht?

Nein, das tun sie nicht. Als die Künstlerinnen und Künstler aufgeschrien haben, weil die Corona-Hilfen nicht rechtzeitig kamen, entdeckten wir im Rahmen unserer Studie, dass das nur die Spitze des Eisbergs war. Sehr viele Kunst- und Kulturschaffende können von ihrer Tätigkeit nicht leben.

Sie schreiben in Ihrer Studie von „dem lohnenden Gefühl, etwas sehr Schwieriges gut gemeistert zu haben“, indem man alles gibt und dafür Applaus bekommt.

Das spielt eine Rolle. In einem der Interviews sagte ein Schauspieler, er mache gern etwas Glamouröses, das würde ihn motivieren. Anderen ist es ein Bedürfnis, etwas mit Kunst zu machen, und die Frage, ob sie davon leben können, hält sie dann eher davon ab, diesem Bedürfnis zu folgen. Sie sind bescheiden, was ihren Lebensstil anlangt, und bewegen sich unter ihresgleichen, also fällt es nicht auf. Zwar merken sie, wenn sie sich mit anderen vergleichen, schon, dass diese Anderen regelmäßig auf Urlaub fahren und sie nicht − aber dafür sind sie ja Schauspieler:in.

Beutet die Kulturbranche das innere Bedürfnis, Kunst zu schaffen, dieser Menschen aus?

Das würde ich so sagen. Lang kam die Kulturbranche auch damit durch, weil es vielen Kunstschaffenden nicht so klar war, wie schlecht sie ökonomisch dastehen, auch zumal Österreichs vergleichsweise gutes System der Arbeitslosenversicherung für sie als Ein-Personen-Unternehmen nicht gilt. Im ersten Lockdown wurde dann allzu deutlich, dass sie keine Reserven haben, weil nicht nur das Theater, sondern auch die Nebenjobs in der Gastronomie, im Tourismus oder als Unterrichtende wegfielen, mit denen Kulturschaffende ihr Leben normalerweise finanzieren.

Von welchem Durchschnittseinkommen reden wir?

Kunstschaffende arbeiten viele, viele Stunden. Der Durchschnitt ist nicht aussagekräftig, denn die Szene besteht aus vielen Welten und Nischen. Eine Musikerin, die im Radio gehört wird, kann trotz ihrer Popularität wenig verdienen, zumal freiberufliche Musiker nur zwischen 150 und 500 Euro brutto für einen Auftritt bekommen. Diese Gage deckt alles inklusive Organisation und Probezeit ab.

Wem gelingt es, den Lebensunterhalt aus künstlerischer Tätigkeit zu bestreiten?

Angestellte an großen Häusern und die Superstars unter den Selbstständigen können von ihrem künstlerischen Schaffen leben. Sie sind auch in den Medien präsent. Dass Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen mit ihnen auf der Bühne stehen, wird ein bisschen verdeckt. Dazu wurden bereits zwei Erhebungen, in denen die gesamte Kunstszene befragt wurde, gemacht. Das Problem ist nur die Definitionsfrage: Ab wann ist man Künstler:in und wer bestimmt das?

Selbst Michelangelo machte Auftragsarbeiten – man könnte auch die Ansicht vertreten, dass jeder Mensch einen Brotjob benötigt.

Die großen Maler hatten teils große Werkstätten und erzeugten Gemälde wie in einer Firma am laufenden Band. Wer das nicht machte, lebte wohl weniger gut. Und wer einen Mäzen wie den Papst hatte, wird gute Gagen bekommen haben und in der Zeit des eigenen künstlerischen Schaffens wohl ausgehalten worden sein. Heute ist das anders. In Österreich sind Angestellte in der Regel gut abgesichert und der Rest weniger gut. Und auch an großen Theatern gibt es häufig nur befristete Verträge – auf ein Jahr, oder eine oder zwei Saisonen. In dieser Zeit verdient man zwar nicht schlecht, aber das kann schnell wieder vorbei sein. Wenn die Leute älter werden, finden sie keine neuen Engagements mehr und stehen mit Mitte 50 auf der Straße. Besonders für Frauen gibt es in diesem Alter wenige Rollen.

Welche Rolle spielt das Aussehen? Nimmt man am liebsten junge, hübsche, durchtrainierte Mädels?

Es heißt ja, aber auch bei den Männern. Die Leute sind gut trainiert, sehr virtuos − sie können alles, was man von ihnen möchte. In beiden Geschlechtern geht es ums gute Aussehen, die Fitness auf der Bühne und darum, dass man der richtige Typ für den Regisseur sein muss. Es geht also nicht nur um das gute, sondern auch das richtige Aussehen für die jeweilige Produktion.

Verbessern Social Media die Einkommenslage?

Social Media sind ist eine andere Art, zu Engagements zu kommen als über Agenturen. Aber niemand hat im Rahmen der Studie gesagt, dass sie die Zahl der Engagements vermehren. Es ist nur anders und zum Teil mehr Arbeit, weil man Social Media ja auch möglichst professionell befüllen muss. Andererseits kann man heute leicht eine neue Fotoserie machen lassen und ins Netz stellen − früher kostete das mit Fotografen und Abzug und dem Verschicken sehr viel Geld. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass es für unbekanntere Künstler:innen leichter geworden ist: Veranstalter schauen Demo-Videos gar nicht mehr zur Gänze an, sondern sie zählen die Likes und die Klicks.

Was ist eine faire Bezahlung für Schauspieler:innen, Musiker:innen? Wie viel sollte jemand bekommen, der als Freiberufler:in in einem Orchester arbeitet?

Eine adäquate Bezahlung ist nur dann möglich, wenn die Institutionen auch genug Geld dafür bekommen. Fair Pay einzufordern, ohne dass die öffentliche Hand das ermöglicht, etwa indem sie das Projekt nur an jene vergibt, die die Leute ausreichend bezahlen und auch die Mittel dafür zur Verfügung stellt, geht nicht. Das wird gern vergessen.

Wie ist eigentlich das Verhältnis Veranstalter:in – freie Kulturschaffende – Fördergeber:in?

Auf der einen Seite haben wir die Veranstalter, in der Mitte sind die Künstler, und auf der anderen Seite stehen die Förderer. Gagenverhandlungen finden zwischen Veranstaltern und Auftretenden statt, das Geld aber kommt von der öffentlichen Hand. Und die Theater können nur so viel zahlen, wie sie von der öffentlichen Hand bekommen. Sie machen befristete oder niedrig dotierte Verträge somit nicht aus Bösartigkeit, sondern weil sie das Geld nicht kriegen. Wenn die Künstler mehr Geld verlangen, haben die Theater trotzdem kein höheres Budget, und das wiederum heißt weniger Produktionen mit weniger Darstellerinnen und Darstellern. Beides ist schlecht für die Schauspieler, daher sind sie bescheiden in ihren Forderungen.

Gibt es Beispiele, wie man es besser macht?

In Skandinavien gibt es für Kulturschaffende so etwas wie ein Grundeinkommen. Dort wird die Kunst so hoch eingeschätzt, dass die Leute finanziert werden. Das ist im Grunde nichts anderes, wie wenn man Kellner und Kellnerinnen in Saisonbetrieben mit dem Arbeitslosengeld durch die Nichtsaison durchfinanziert.

Inwiefern finanzieren Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten die Kulturbranche mit?

Das ist klassisch. Es werden sogar Leute Mitte 50 noch immer von den Eltern mitfinanziert.

Würden Sie jungen Menschen empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen?

Im Prinzip ja! Wenn jemand das wirklich machen möchte, soll er oder sie es probieren. Als junger Mensch soll und muss man der Überzeugung sein, dass man selbst alles schafft, alles besser macht und dass sich etwas ändern wird. Allerdings ist es sicher intelligent, das Pädagogische mitzudenken, wenn jemand ein Musikstudium beginnt, einfach auch weil es diese Möglichkeit gibt.

QOSHE - Schillerndes Künstlerleben, armselige Löhne - Eva Stanzl
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Schillerndes Künstlerleben, armselige Löhne

4 0
31.01.2024

Scheinwerferlicht, Ruhm, Reichtum und Selbstverwirklichung: Das ist eine verbreitete Vorstellung des Lebens als Künstler:in. Doch in Wahrheit erreichen nur wenige diesen Punkt. Der Großteil der Kunst- und Kulturschaffenden schrammt finanziell an der Armutsgrenze. Diesen Befund stellt die Wirtschaftsuniversität Wien anhand einer qualitativen Untersuchung aus, die die Kulturmetropole Wien als weitgehend prekären Arbeitsort für Künstler:innen entlarvt. Von 15 befragten Personen können nur zwei von ihrer Kunst leben, der Rest ist auf Nebenjobs angewiesen, sagt Studienautorin Evelyn Dawid im Gespräch mit der WZ.

Die Mehrheit der Kunstschaffenden in Wien lebt im Prekariat, und das nicht erst seit den Corona-bedingten Schließungen von Theatern, sondern als Dauerzustand. Sie haben 15 Personen dazu befragt. Was sagen sie? Würden Künstler:innen nahezu alles aushalten, um ihrem Traumjob nachgehen zu können?

So ist es wohl bis zu einem gewissen Grad. Da man seinen Job liebt, verschließt man vor dessen Schattenseiten die Augen. Jedoch hat die künstlerische Arbeit auch besonderen Charakter: Die Leute haben eine Ausbildung mit akademischem Abschluss, stehen auf der Bühne, bekommen Applaus für ihr Schaffen, haben Erfolg, man liest über sie in den Medien. Das sind keineswegs die Bilder, die man von Menschen hat, die in der Nähe von Armut leben. Und man muss wissen: Wenn man für den geringen Lohn nicht arbeitet, steht hinter einem schon der nächste bereit, den Job zu nehmen. Es gibt Interessenvertretungen, aber zugleich ist in der Kulturbranche jeder auf sich selbst gestellt. Alle kämpfen für sich selbst und ums Überleben. Kunstschaffende sind Individualisten. Sie leben in dem Bewusstsein, dass ihre Kunst besonders gut ist. In einem Ensemble ist es zwar schon Teamarbeit, aber jedes Ensemble hat ein Alleinstellungsmerkmal für sich.

Schützen Bildung und Ruhm vor Armut nicht?

Nein, das tun sie nicht. Als die Künstlerinnen und Künstler aufgeschrien haben, weil die Corona-Hilfen nicht rechtzeitig kamen, entdeckten wir im Rahmen unserer Studie, dass das nur die Spitze des Eisbergs war. Sehr viele Kunst- und Kulturschaffende können von ihrer Tätigkeit nicht leben.

Sie schreiben in Ihrer Studie von „dem lohnenden Gefühl,........

© Wiener Zeitung


Get it on Google Play