Fritz ist ein Mädchen mit grauem Fell. Das Leben der beiden Pensionist:innen Christina und Werner mischt sie ordentlich auf. Sitzt auf dem Tisch. Und auf dem Türblatt. Krallt sich von vorn über den Bauch auf die Schulter, stupst ihre Nase ins Ohr und beschnurrt das Trommelfell. Wer das nicht will, macht eine Handbewegung, die „nein“ bedeutet. Fritz nimmt’s zur Kenntnis, setzt sich, wartet – und probiert es später noch einmal, diesmal von hinten. Die Katze liegt auf dem eigenen Platz? Einfach „Fritz, bitte setz‘ dich um – schau: dorthin“ sagen und auf den anderen Stuhl deuten. Mittlerweile wechselt sie sogar prophylaktisch den Platz, wenn man im Anmarsch ist. „Unsere Katze fühlt mit uns mit“, sagt Werner, den sie besonders zu lieben scheint, im Brustton der Überzeugung.

Schwärmerei? Mitnichten! Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass Werner recht hat. Erst kürzlich berichtete etwa die Universität Paris-Nanterre, dass Katzen auf die Stimme ihrer Halter:innen anders als auf die Stimme einer fremden Person reagieren – und sich entsprechend anders verhalten. Und ein US-Team der Oregon State University konnte zeigen, dass die Stubentiger weitaus entspannter und mutiger waren, wenn ihre Bezugspersonen, denen sie vertrauen, sich im gleichen Raum befanden. Demnach zeigten 64 Prozent der felinen Proband:innen Anzeichen einer offenbar gefestigten Bindung zu ihren Besitzer:innen. Die Tiere zeigten sich gestresst und miauten viel, wenn diese nicht im Raum waren, kehrten sie aber zurück, entspannten sich die Katzen.

Heißt das, dass unsere Katzen uns lieben? Der US-Evolutionsbiologe Jonathan Losos sagt ja, denn auch die Liebe hätte in der Evolution ihren Sinn. In seinem Buch „Von der Savanne aufs Sofa“ hat er sich in die Evolution der von der Afrikanischen Falbkatze abstammenden Hauskatze Felis catus vertieft. Losos‘ Schlussfolgerung: Es stimmt, dass die Samtpfoten sich an uns Menschen anpassen und uns entgegenkommen, aber wir sollten das nicht allzu persönlich nehmen. Denn genau dieses Verhalten brachte unseren felligen Lieblingen Vorteile.

Losos zitiert eine Studie des Sprachwissenschaftlers Nicholas Nicastro, der für seine Doktorarbeit zur Katzenkommunikation an der Cornell University in den USA die Rufe etlicher Artenvertreter:innen, wild wie zahm, aufzeichnete. Seine Erkenntnisse widerlegen landläufige Annahmen, wonach domestizierte Katzen das Miauen bloß entwickelt hätten, um sich dem Menschen verständlich zu machen, jedoch untereinander nicht auf diese Weise kommunizieren. Denn selbst Wildkatzen würden untereinander kräftig miauen – aber anders: Sie nutzen tiefere Töne als Hauskatzen. „Der Unterschied liegt darin, dass die Evolution sie für freundliche Interaktion mit Menschen ausgestattet und infolgedessen das Miauen so verändert hat, dass wir es ansprechender finden“, berichtet er. Auch das Repertoire der Schnurrlaute habe sich weiterentwickelt und reiche bei Felis catus vom zart-zufriedenen Wohlfühlgeräusch bei Entspannung bis zur eindringlich-auffordernden Kettensäge bei Hunger.

Auch die Katzen-Evolution dreht sich um das Überleben der Freundlichsten. „Welche andere Katzenart wird sich in Ihrem Schoß zusammenrollen, Ihnen die Haare ablecken und durchs ganze Haus folgen als die Hauskatze?“, schreibt der Evolutionsbiologe und zitiert eine weitere Studie, für die US-Verhaltensforscher:innen die Tierpfleger:innen von 71 Zoos nach dem Verhalten von 400 Kleinkatzen befragten. Zu den freundlichsten gehörte die Afrikanische Falbkatze, die direkte Ahnin der Hauskatze.

Heute ist Felis catus das beliebteste Haustier. Nicht einmal der beste Freund des Menschen, der Hund, kann ihr den Rang ablaufen. Laut Google ist sie auch das meistgesuchte Haustier in der Suchmaschine. „Kein Wunder, Cat-Content vertreibt die Zeit und muntert auf. Wer nach einem schlechten Tag in der Arbeit durch ein paar lustige Katzenvideos stöbert, dem erscheint die Welt gleich freundlicher“, fasst das Radionetzwerk Deutschland anlässlich des Weltkatzentags am 8. August zusammen. Außerdem werden Katzen nie langweilig, meint der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal: Sie sind Individualisten, begabte Terroristen, kreative Futtertyrannen“, die sich immer wieder etwas Neues einfallen ließen.

Und dann machen sie es sich auch noch überall gemütlich. Ob auf dem Sofa, dem Computer, dem Tisch oder im Bett: Die stille Genießermiene der Samtpfoten mit den Spitzohren erwärmt unser Herz. Sie vermittelt, dass sie uns irgendwie mag und uns vertraut, die Liebe quasi auf Gegenseitigkeit beruht.

„Wenn Christina noch schläft, Fritz aber schon hungrig ist, kommt sie zu mir und macht ein stummes Miau. Sie formt also nur den Mund, aber ohne Ton, damit sie die Christina nicht in aller Früh aufweckt“, berichtet Werner über seine, wie er findet, geradezu exemplarisch rücksichtsvolle Katze.

Dennis Turner vom Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie in Horgen in der Schweiz hat Fragen wie diese untersucht. Der schweizerisch-amerikanische Biologe kennt die Samtpfoten wie kaum ein anderer. Er hat ihr Verhalten jahrzehntelang im Rahmen von Langzeit-Studien zur Mensch-Katzen-Beziehung studiert. Er und sein Team von der Universität Zürich haben dabei unter anderem 600 Katzen und ihre Halter:innen beobachtet.

Für möglichst genaue Ergebnisse verbrachten die Forschenden mehrere Tage in Haushalten und stellten fest: „Die Mensch-Katze-Beziehung ist eine echte Partnerschaft. Sie kann über längere Zeit auf sehr hohem oder sehr niedrigem Niveau existieren, denn die Katze akzeptiert genau die Intensität, die der Mensch will, und passt sich ihm an“, erklärt Turner im Gespräch mit der WZ: „Aus einer philosophischen Perspektive kann dies als erster Hinweis auf eine ethische Haltung in der Tierwelt gesehen werden in dem Sinne, als die Katze die Wünsche und Grenzen Anderer akzeptiert.“ Dazu gehört schon einiges.

Wer trotz des felinen Talentereichtums mit seinem Stubentiger nicht zurande kommt, ruft Petra Ott an. In ihrer Berufspraxis hat sie nach eigenen Aussagen mittlerweile rund 8.000 Fremdkatzen beobachtet und gegebenenfalls therapiert. Laut der tierpsychologischen Verhaltensberaterin können Katzen bis zu einem gewissen Grad spüren, was wir Menschen denken und fühlen. „Wenn eine Katze zum Tierarzt muss, merkt sie schon Stunden, bevor der Transportkorb überhaupt aus dem Schrank geholt wird, dass etwas in der Luft liegt. Katzen spüren Stress, Depressionen, Hormonschwankungen, Schwangerschaften und Erkrankungen ihrer Menschen. Die einen verzupfen sich, die anderen fühlen und leiden mit und spiegeln die Situation“, sagt Ott zur WZ.

Zunehmend profitieren Demenzstationen, Hospize und Therapieeinrichtungen von der beruhigenden Wirkung der Katze. Laut Expert:innen können die schnurrenden Samtpfoten dabei helfen, psychische oder körperliche Leiden zu lindern und Patient:innen dabei unterstützen, Aufenthalte in Therapieeinrichtungen etwas positiver wahrzunehmen und sich auf Therapien einzulassen.

Dabei lassen sie sich nicht, so wie Hunde, über Kurse als Therapietiere auf spezifisches Können trainieren, sondern wirken aus sich heraus. „Um mit Katzen in Kontakt zu treten, verlangen diese vom Menschen, zur Ruhe zu kommen“, erklärt die deutsche Sozialpädagogin Margit Dittrich im Magazin National Geographic. Denn wenn jemand forsch auf sie zueilt, fühlen die Samtpfoten sich körperlich eingeschränkt und ziehen Leine. Wer sie streicheln will, muss sich also beruhigen. „Sie wirken stressreduzierend“, sagt Dittrich vom deutschen Bundesverband Tiergestützte Intervention. Deshalb seien Katzen auch für hyperaktive Kinder und Depressive hilfreich.

Eine Katze zu streicheln, tut körperlich gut. Im Umgang mit Katzen schüttet der menschliche Körper vermehrt Oxytocin aus. Das Kuschelhormon wirkt beruhigend, senkt den Blutdruck und kurbelt die Wundheilung an. Gleichzeitig schüttet der Körper weniger vom Stresshormon Kortisol aus. Zudem hat der Ton des Schnurrens eine heilende Wirkung – zumindest bei den Tieren selbst. Laut einer Studie heilen kätzische Knochenbrüche bei einer Schnurrfrequenz zwischen 27 und 44 Hertz schneller und die Knochendichte erhöht sich. Eine andere Untersuchung mit mehreren tausend Teilnehmenden bestätigt, dass Menschen, die Katzen besitzen, seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkten und Schlaganfällen sterben.

Dennis Turner sieht die Katzenforschung im Aufwind, auch im Zusammenhang mit einem steigenden Interesse für all jene Faktoren, die das Wohlbefinden des Menschen steigern. „Allerdings ist es nicht einfach, Katzen zu studieren, denn sie lassen sich schwer motivieren, bei einer Studie mitzumachen. Und man muss sie kennenlernen, um ihr Verhalten beobachten zu können. Brauchbare Studienergebnisse hat man erst nach einer Woche“, räumt der Experte ein. Aus diesem Grund sei die Katzenforschung eher jung.

Noch vor einigen Jahren ging die Wissenschaft davon aus, dass Katzen nur eingeschränkte mimische Fähigkeiten haben. Was der Wahrnehmung zahlreicher Katzenhalter:innen, die ihre Tiere beobachteten, wenn sie blinzelten, zwinkerten, grimmig schauten oder gelangweilt in die Luft starrten, widersprach. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Katzen ein facettenreiches Mimik-Repertoire haben. Die US- Forscherinnen Lauren Scott und Brittany Florkiewicz haben kürzlich Videoaufnahmen aus einem Katzencafé in Los Angeles ausgewertet und kamen dabei auf 276 unterschiedliche feline Gesichtsausdrücke. Beobachtet wurden allerdings nur Heimtiere. Mit Wildkatzen wurden die Ergebnisse noch nicht verglichen. Da manche der freundlichen Gesichtsausdrücke denen von Menschen ähneln würden, spekulieren die Forscherinnen, dass die Domestizierung bei der felinen Gesichtsmimik eine Rolle gespielt haben könnte. Ganz nach dem Motto, dass die Freundlichsten überleben, könnte ein nettes Gesicht die Aussichten auf Futter verbessert haben.

Auch bei Katzen geht die Liebe durch den Magen. „Das Fressen ist aber nur ein Eisbrecher“, sagt Turner, dessen Studienteam die Mensch-Katze Beziehung auch mit einem eigens entwickelten Fragebogen in zahlreichen Ländern untersucht hat. „Um zu einer Katze eine Bindung aufzubauen, ist weitaus mehr nötig, als ihr Futter hinzustellen.“

Petra Ott arbeitet häufig mit Katzen in Tierheimen. In ihr hat sich der Verdacht gefestigt, dass die Spitzohren uns nicht nur für reine Futterautomaten halten, sondern uns tatsächlich lieben. „Katzen machen ein ganz spezielles Gesicht, wenn sie traurig sind“, berichtet sie. „Wenn ihre Menschen gestorben sind und sie ins Tierheim kommen, drücken die Augenbrauen in einer Art und Weise auf die Augenlider, dass die Mandelform des Katzenauges verschwindet. Das ergibt ein seltenes Bild: Das Katzenauge bekommt ein Schlupflid, das sich wie eine Welle über das Augenlid legt.“ Das Schlupflid verschwinde, wenn die Katze sich wieder erholt hat. Oder wieder eine Bindung zu einem Menschen eingeht. Viele Tiere danken ihren „Retter:innen“, die sie dann zu sich nehmen, mit besonderer Zuneigung.

QOSHE - Warum uns Katzen glücklich und gesund machen - Eva Stanzl
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Warum uns Katzen glücklich und gesund machen

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19.11.2023

Fritz ist ein Mädchen mit grauem Fell. Das Leben der beiden Pensionist:innen Christina und Werner mischt sie ordentlich auf. Sitzt auf dem Tisch. Und auf dem Türblatt. Krallt sich von vorn über den Bauch auf die Schulter, stupst ihre Nase ins Ohr und beschnurrt das Trommelfell. Wer das nicht will, macht eine Handbewegung, die „nein“ bedeutet. Fritz nimmt’s zur Kenntnis, setzt sich, wartet – und probiert es später noch einmal, diesmal von hinten. Die Katze liegt auf dem eigenen Platz? Einfach „Fritz, bitte setz‘ dich um – schau: dorthin“ sagen und auf den anderen Stuhl deuten. Mittlerweile wechselt sie sogar prophylaktisch den Platz, wenn man im Anmarsch ist. „Unsere Katze fühlt mit uns mit“, sagt Werner, den sie besonders zu lieben scheint, im Brustton der Überzeugung.

Schwärmerei? Mitnichten! Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass Werner recht hat. Erst kürzlich berichtete etwa die Universität Paris-Nanterre, dass Katzen auf die Stimme ihrer Halter:innen anders als auf die Stimme einer fremden Person reagieren – und sich entsprechend anders verhalten. Und ein US-Team der Oregon State University konnte zeigen, dass die Stubentiger weitaus entspannter und mutiger waren, wenn ihre Bezugspersonen, denen sie vertrauen, sich im gleichen Raum befanden. Demnach zeigten 64 Prozent der felinen Proband:innen Anzeichen einer offenbar gefestigten Bindung zu ihren Besitzer:innen. Die Tiere zeigten sich gestresst und miauten viel, wenn diese nicht im Raum waren, kehrten sie aber zurück, entspannten sich die Katzen.

Heißt das, dass unsere Katzen uns lieben? Der US-Evolutionsbiologe Jonathan Losos sagt ja, denn auch die Liebe hätte in der Evolution ihren Sinn. In seinem Buch „Von der Savanne aufs Sofa“ hat er sich in die Evolution der von der Afrikanischen Falbkatze abstammenden Hauskatze Felis catus vertieft. Losos‘ Schlussfolgerung: Es stimmt, dass die Samtpfoten sich an uns Menschen anpassen und uns entgegenkommen, aber wir sollten das nicht allzu persönlich nehmen. Denn genau dieses Verhalten brachte unseren felligen Lieblingen Vorteile.

Losos zitiert eine Studie des Sprachwissenschaftlers Nicholas Nicastro, der für seine Doktorarbeit zur Katzenkommunikation an der Cornell University in den USA die Rufe etlicher Artenvertreter:innen, wild wie zahm, aufzeichnete. Seine Erkenntnisse widerlegen landläufige Annahmen, wonach domestizierte Katzen das Miauen bloß entwickelt hätten, um sich dem Menschen verständlich zu machen, jedoch untereinander nicht auf diese Weise kommunizieren. Denn selbst Wildkatzen würden untereinander kräftig miauen – aber anders: Sie nutzen tiefere Töne als Hauskatzen. „Der Unterschied liegt darin, dass die Evolution sie für freundliche Interaktion mit Menschen........

© Wiener Zeitung


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