Eine Pille, die verjüngt: Darum dreht sich „Wir werden jung sein“, der neue Roman des deutschen Schriftstellers Maxim Leo. Die Protagonist:innen schlucken ein Medikament, das die Zeit im Körper zurückdreht, und haben unterschiedliche Konsequenzen zu tragen. Eine gealterte Leistungssportlerin stellt einen neuen Weltrekord auf. Ein frisch verliebter 16-Jähriger ist körperlich plötzlich ein Kind. Und „wenn man allein daran denkt, wie schwer es uns fällt, in unserer heutigen Lebenszeit Sinn und Erfüllung zu finden, wie anstrengend wäre es wohl, 150 Jahre lang oder gar für immer glücklich sein zu müssen?“, stellt Leo zur Diskussion.

Hinzu kämen Probleme wie Überbevölkerung, sich selbst konservierende Eliten und das Ende der Pensionssysteme: Die Folgen eines längeren, jungen und gesunden, ja vielleicht sogar ewigen Lebens wären nicht nur angenehm. Dennoch will die Forschung an der Lebensuhr drehen und eine der ältesten Sehnsüchte der Menschheit erfüllen: nicht sterben zu müssen.

Als vielversprechend gilt ein gängiges Medikament gegen Diabetes Typ-2 namens Metformin. Das Mittel begrenzt die Entstehung von Glukose in der Leber, was den Blutzuckerspiegel senkt. Studien haben gezeigt, dass Diabetiker:innen, die dieses Medikament eingenommen haben, trotz ihrer Grunderkrankung länger lebten als Kontrollgruppen ohne Diabetes.

Metformin gaukelt dem Körper eine Kalorienbeschränkung vor. Dadurch gerät dieser unter Stress und gibt den Zellen das Kommando, sich langsamer zu teilen und fit zu bleiben. Weiters bauen sich die Telomere langsamer ab. Diese Schutzkappen der Chromosomen, die bei der Zellteilung eine wichtige Rolle spielen, werden mit zunehmendem Alter immer kürzer, bis sich die Zellen nicht mehr teilen können.

Studien haben gezeigt, dass Metformin bei Diabetiker:innen die Herzfunktion schützt und die Immunfunktion verbessert. Der Alternsforscher Nir Barzilai vom Albert Einstein College of Medicine in New York bezeichnet das Mittel im Magazin Der Pragmaticus sogar als ,,Universalmedikament”, das als neues allgemeines Therapeutikum in Frage käme. Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA setzt Hoffnungen in die Substanz: Sie bewilligte eine Studie, die untersucht, ob Metformin als Anti-Aging-Medikament bei Nichtdiabetiker:innen sinnvoll ist.

Einen anderen Zugang zur Langlebigkeitsforschung verfolgt die Stammzellenforschung. Der Molekularbiologe Shinya Yamanaka erhielt 2012 den Nobelpreis für Medizin für seine Methode, im Labor gezüchtete, hochspezialisierte Organzellen so umzuprogrammieren, dass sie wieder zu Stammzellen werden. Körperzellen, die etwa auf Leber-, Nieren-, Haut-, Muskel- oder Herzfunktionen spezialisiert sind, können sich dadurch in einen Zustand zurückverwandeln, den sie am Anfang des Lebens hatten, wo sie noch zu jedem Gewebe werden konnten. Theoretisch könnten mit Yamanakas Methode alle Schäden, die sich im Lauf des Lebens anhäufen, wieder rückgängig gemacht werden, sodass alte Zellen wieder so perfekt funktionieren wie junge.

Damit der Neustart gelingen kann, erhalten die Organzellen einen Mix aus vier spezifischen Molekülen, der Yamanaka-Cocktail genannt wird. Der US-Entwicklungsbiologe Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute im kalifornischen La Jolla konnte nachweisen, dass sich die biologische Uhr mithilfe des Yamanaka-Cocktails tatsächlich zurückdrehen lässt. Nach der Einnahme des Cocktails verjüngte sich das epigenetische Muster – jener Mechanismus, der den Genen signalisiert, wann sie aktiv werden sollen und wann nicht – in den Zellen der Mäuse . Das funktionierte zumindest bei Nagern.

Inwiefern die Yamanaka-Methode auch beim Menschen greift, wird sich weisen. Da sie Lebensprinzipien aushebelt, die wir für fix halten, wird die ethische Diskussion wohl mehrere Generationen beschäftigen. Milliardäre aus Silicon Valley lassen sich die Forschung nach Medikamenten, die nach solchen Prinzipien funktionieren, viel Geld kosten, und werben um Top-Forscher. Medienberichten zufolge ließen sich Izpisua Belmonte und Yamanaka überzeugen, für die Firma Altos Labs Therapien zu entwickeln, die den menschlichen Alterungsprozess aufhalten oder sogar rückgängig machen können. Zu den Investoren zählt Amazon-Gründer Jeff Bezos.

Die US-Biochemikerin Frances Arnold, Vorstandsmitglied und Nobelpreisträgerin für Chemie 2018, geht davon aus, dass „Altos ein ganz neues Forschungs- und Entwicklungsmodell bietet, das auf die ältesten menschlichen Probleme abzielt, die Auswirkungen von Krankheiten verlangsamt und letztlich sogar umkehren kann“.

Zurück also zu den Konsequenzen eines längeren und vielleicht irgendwann ewigen Lebens: Was wäre, wenn es eine Pille gäbe, die uns jünger macht? „Wenn man mich um acht Jahre verjüngen würde, würde sich mein Leben nicht fundamental verändern, aber bei 18 oder 38 Jahren vielleicht schon“, sagt Maxim Leo in einem Podcast des Spiegel-Magazins Moreno 1. Zeit ist relativ. Unser Zeitempfinden hängt davon ab, wie viele Jahre wir bereits auf dem Buckel haben.

Das wirft die Frage auf, wie wir bei einem längeren Leben damit umgehen würden, dass uns mehr Zeit gegeben ist. Wir könnten viele Karrieren machen. Unserer Kreativität zahlreichere Ausdrucksformen geben, mehr Talente auf die Probe stellen. Wir hätten Familie und Freunde länger, wenn sie alle diese Pille schlucken, wir könnten mehr interessante Leute kennenlernen, die ganze Welt bereisen, viel mehr Bücher lesen, oder jeden Sport und jeden Tanz erlernen.

Aber würden wir all das tatsächlich tun? Oder würden wir angesichts der gewonnenen Zeit Pläne auf die lange Bank schieben und fauler, unproduktiver werden, oder − so wie ich − einen Artikel viele Male umschreiben, wenn kein Zeitdruck herrscht? Darauf gibt es keine Antwort, denn jeder von uns plant sein Leben individuell, setzt andere Prioritäten. Die einen planen rechtzeitig, die anderen im letzten Moment, die einen haken Aufgaben auf Listen ab, die anderen wollen sich nicht zu viel aufhalsen.

Vorstellbar ist jedoch, dass das Leben insgesamt anders geplant werden müsste, wenn ein Alter von 120, 130, 150, 200 oder gar 1.000 Jahren erreichbar wäre. Heute müssen wir Ausbildung, Karriereplanung und Familiengründung in den knappen Zeitraum zwischen 15 und 40 Jahren packen. Das müssten wir dann nicht mehr – vorausgesetzt, wir könnten auch die Fruchtbarkeit verlängern. Wenn das aber nicht gelingt, könnten wir wenigstens die Reihenfolge ändern: lange Jugend, dann Familie, dann Ausbildung, dann mehrere Karrieren. Das aber würde wiederum das Gesellschaftssystem verändern, denn aus dieser Perspektive wären auch das Pensionssystem oder die Länge des Arbeitslebens zu sehen.

Schätzungen zufolge haben bisher 100 Milliarden Menschen auf der Erde gelebt. Mindestens so viele wären wir, könnten wir seit jeher ewig leben. Schon jetzt aber stöhnt unser Planet unter seinen heute acht Milliarden Menschen. Kaum auszudenken, wie viele Ressourcen wir bei längerer oder gar ewiger Lebensdauer benötigen würden.

Eine radikale Lösung des Problems der Überbevölkerung zeigt Andrew Niccol in seinem Film „In Time – Deine Zeit läuft ab“ auf, in der ein neues Weltwirtschaftssystem die Lebenszeit als Währung hat. Der Alterungsprozess eines jeden Menschen endet aufgrund einer Genmanipulation im Alter von 25 Jahren. Um eine Überbevölkerung der Erde zu vermeiden, bleibt danach eine restliche Lebenszeit von einem Jahr, die von einer implantierten Uhr auf dem Unterarm als Countdown angezeigt wird. Sobald diese Uhr abläuft, stirbt der Träger. Zusätzliche Zeit kann als Arbeitslohn, durch Schenkung oder durch Diebstahl hinzugefügt werden.

Egal wie alt wir werden, im Kopf bleiben wir jung. Denn in der Erinnerung spüren wir unsere Kindheit ein Leben lang. Wir erinnern uns, wie hungrig wir plötzlich wurden, wenn Oma einen Kuchen aus dem Ofen holte, und wie befriedigt wir uns fühlten, wenn wir ihn gleich essen durften. Wir wissen noch, wie Familienurlaube abliefen, was lustig und was langweilig war, und wie wir uns im Kindergarten prügelten oder uns die Knie aufschlugen. Unsere gesammelten Erinnerungen machen unsere Identität aus, sie bleiben bis zum Moment unseres Todes. Das würde sich wohl nicht ändern, selbst wenn wir ewig leben.

Allerdings wäre wohl irgendwann die Zahl der Erfahrungen, die wir zum ersten Mal machen können, erschöpft. Das ewige Leben würde uns Menschen unserer wichtigsten Eigenschaften berauben, warnt Philosoph Martin Booms, Direktor der Akademie für Sozialethik und öffentliche Kultur in Bonn, in einem Bericht des Senders MDR. „Wir würden mit der Aussicht, für immer zu leben, unsere Neugier verlieren.“

Und wir wären vielleicht viel vorsichtiger. Immerhin steht nirgends geschrieben, dass die Möglichkeit, ewig zu leben, mit der Unfähigkeit zu sterben gleichzusetzen ist. Aus Angst, von einem Auto überfahren zu werden, würden wir vielleicht nicht mehr auf die Straße gehen, oder aus Angst, dass uns tatsächlich der Himmel auf den Kopf fallen könnte, stets zu Hause bleiben.

Und dennoch besitzt die Menschheit schon heute offenbar die Voraussetzungen für besondere Langlebigkeit, schreibt Nir Barzilai. Der Alternsforscher hat herausgefunden, dass Menschen, die älter als 100 Jahre werden, auch länger gesund bleiben als die meisten. „Während andere im Alter von 60 Jahren krank werden, bleiben sie noch 20 oder sogar 30 Jahre lang gesund. Das beweist, dass wir bereits Menschen unter uns haben, die uns zeigen, dass wir es viel besser machen können.“

Der älteste Mensch, soweit bekannt, war die Französin Jeanne Calment, die 1997 nach 122 Jahren und 164 Tagen starb. Wie es ihr in ihrem langen Leben gegangen ist, kann sie heute niemand fragen. Vielleicht aber könnten wir schöne oder bedeutungsvolle Momente anders genießen, wenn wir wüssten, dass wir viel Zeit haben, über sie nachzudenken.

QOSHE - Was wäre, wenn wir ewig leben? - Eva Stanzl
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Was wäre, wenn wir ewig leben?

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03.04.2024

Eine Pille, die verjüngt: Darum dreht sich „Wir werden jung sein“, der neue Roman des deutschen Schriftstellers Maxim Leo. Die Protagonist:innen schlucken ein Medikament, das die Zeit im Körper zurückdreht, und haben unterschiedliche Konsequenzen zu tragen. Eine gealterte Leistungssportlerin stellt einen neuen Weltrekord auf. Ein frisch verliebter 16-Jähriger ist körperlich plötzlich ein Kind. Und „wenn man allein daran denkt, wie schwer es uns fällt, in unserer heutigen Lebenszeit Sinn und Erfüllung zu finden, wie anstrengend wäre es wohl, 150 Jahre lang oder gar für immer glücklich sein zu müssen?“, stellt Leo zur Diskussion.

Hinzu kämen Probleme wie Überbevölkerung, sich selbst konservierende Eliten und das Ende der Pensionssysteme: Die Folgen eines längeren, jungen und gesunden, ja vielleicht sogar ewigen Lebens wären nicht nur angenehm. Dennoch will die Forschung an der Lebensuhr drehen und eine der ältesten Sehnsüchte der Menschheit erfüllen: nicht sterben zu müssen.

Als vielversprechend gilt ein gängiges Medikament gegen Diabetes Typ-2 namens Metformin. Das Mittel begrenzt die Entstehung von Glukose in der Leber, was den Blutzuckerspiegel senkt. Studien haben gezeigt, dass Diabetiker:innen, die dieses Medikament eingenommen haben, trotz ihrer Grunderkrankung länger lebten als Kontrollgruppen ohne Diabetes.

Metformin gaukelt dem Körper eine Kalorienbeschränkung vor. Dadurch gerät dieser unter Stress und gibt den Zellen das Kommando, sich langsamer zu teilen und fit zu bleiben. Weiters bauen sich die Telomere langsamer ab. Diese Schutzkappen der Chromosomen, die bei der Zellteilung eine wichtige Rolle spielen, werden mit zunehmendem Alter immer kürzer, bis sich die Zellen nicht mehr teilen können.

Studien haben gezeigt, dass Metformin bei Diabetiker:innen die Herzfunktion schützt und die Immunfunktion verbessert. Der Alternsforscher Nir Barzilai vom Albert Einstein College of Medicine in New York bezeichnet das Mittel im Magazin Der Pragmaticus sogar als ,,Universalmedikament”, das als neues allgemeines Therapeutikum in Frage käme. Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA setzt Hoffnungen in die Substanz: Sie bewilligte eine Studie, die untersucht, ob Metformin als Anti-Aging-Medikament bei Nichtdiabetiker:innen sinnvoll ist.

Einen anderen Zugang zur Langlebigkeitsforschung verfolgt die Stammzellenforschung. Der Molekularbiologe Shinya Yamanaka erhielt 2012 den Nobelpreis für Medizin für seine........

© Wiener Zeitung


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