Sie leiten ab kommenden Jahr das Ignaz Semmelweis Institut, ein Kompetenzzentrum für Infektionskrankheiten. Welche Viren könnten uns in Zukunft gefährlich werden?

Viren, die sich über die Atemwege übertragen, sind ein Problem, weil sie sich so leicht verbreiten. Die Pandemiebeobachtung sollte zumindest vier Erreger-Familien im Auge behalten: Coronaviren, Orthomyxoviren, Paramyxoviren und Bunyaviren.

Welche Krankheiten lösen diese vier Erreger-Familien aus?

Ein Beispiel für Coronaviren haben wir gerade erlebt. Orthomyxoviren lösen Influenza aus. Bunyaviren sind etwa für das Krim-Kongo-Fieber verantwortlich. Dabei handelt es sich um ein Fieber, das Erbrechen, Durchfall und innere Blutungen auslöst. Es ist in der Türkei und am Balkan verbreitet. Die Hälfte der Patient:innen stirbt an der Krankheit. Sie wird von Zecken übertragen. Auch Hantaviren, die weltweit vorkommen und über den Speichel oder Kot infizierter Nagetiere Menschen anstecken, gehören zu dieser Familie. Aus Südamerika kennen wir ein Hantavirus namens Andesvirus, das schon Mensch-zu-Mensch-Übertragungen vollzogen hat und etwa 30 Prozent der Infizierten tötet. Dort wurden die Betroffenen in Quarantäne geschickt, um die Verbreitung zu stoppen. Die Maßnahme hat gewirkt.

Gab es in Österreich auch schon Fälle?

Hantaviren gibt es in der Steiermark in Form des Puumala-Virus, das meistens mit grippeähnlichen Verläufen und Nierenversagen einhergeht. Pro Jahr infizieren sich bis zu 200 Menschen. Allerdings ist die österreichische Version nicht von Mensch zu Mensch übertragbar.

Gibt es Kipppunkte, ab denen gefährliche Erkrankungen auch in Österreich dauerhaft zirkulieren?

Das ist oft Zufall. Menschen können sich zwar über Tiere infizieren, aber viele Viren sind nicht besonders gut darin, von Mensch zu Mensch zu springen. Das Andesvirus kann das, das Nipahvirus kann das, aber eben nicht gut. Es kann natürlich passieren, dass diese Viren mutieren und dadurch besser übertragbar werden. Das ist wahrscheinlich mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 passiert ist.

Kann man eingrenzen, wovon das abhängt?

Nein, das ist das Problem. Es ist schwierig, zu sagen: Das ist der Faktor, der es ausmacht. Wahrscheinlich gibt es weltweit täglich tausende Interaktionen mit gefährlichen Viren, aber im Normalfall passiert gar nichts.

Der Klimawandel bringt tropische Mücken, Zecken und andere Insekten in unsere Breiten. Wie gefährlich ist die asiatische Tigermücke, die vor elf Jahren erstmals in Österreich entdeckt wurde?

Es kommt darauf an, womit sie infiziert ist. Momentan ist sie unproblematisch, aber es gibt gelegentlich im Mittelmeerraum lokale Cluster mit den tropischen Infektionskrankheiten Denguefieber und Chikungunya. In Österreich gibt es das noch nicht, aber es könnte in Zukunft vorkommen. Ich hätte hierzulande eher vor den normalen Culex-Moskitos Angst, das sind die gemeinen Stechmücken, also Gelsen. Sie können nämlich das Westnil-Virus übertragen. Das ist eine grippeähnliche Erkrankung, gegen die es kein Medikament gibt.

Welche Tiere sind noch gefährlich?

Am gefährlichsten sind Fledermäuse. Tollwut ist in Österreich ausgerottet, aber Fledermäuse können tollwutähnliche Viren tragen und wenn man sich mit denen infiziert, ist es gefährlich – da reicht oft schon, wenn man von einer Fledermaus gestreift wird. Und sie übertragen auch andere Krankheiten, wie etwa das tödliche Marburg-Virus – allerdings nicht in Österreich, sondern in afrikanischen Ländern – oder eben Coronaviren.

Auf welche neuen Krankheiten müssen sich Menschen in Zukunft einstellen?

Sie müssen sich auf alle möglichen Viren, die von Insekten übertragen werden, einstellen, von Denguefieber über Zika bis zu Chikungunya und das Krim-Kongo-Fieber, die durch den Klimawandel auch zu uns nach Österreich kommen könnten. Wir haben außerdem momentan wieder ein großes Problem, weil sich viele Menschen nicht mehr impfen lassen. Masern werden zu einem riesigen Problem, auch Mumps und sogar Polio (Kinderlähmung, Anm.). Wenn man aufhört, sich impfen zu lassen, kommt das zurück, und das ist keine Frage einer neuen Pandemie oder des Klimawandels, sondern eine der Gesellschaft. Möglicherweise haben die Leute die Konsequenzen solcher Krankheiten vergessen.

Sie wollen sich am Boltzmann Institut für Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge der Überwachung und Verbreitung von Viren im urbanen Raum ,,an der Schnittstelle von Mensch und Tier“ widmen und anschauen, welche Erreger in Vögel und Ratten schlummern.

Genau. Wir starten damit, Vogelkot zu sammeln und zu analysieren. Ich persönlich finde auch Ratten sehr interessant, einerseits, weil sie alle möglichen Bakterien tragen, die auch auf Menschen überspringen. Andererseits tragen Ratten auch Viren (Ratten haben Flöhe, die Viren auf Menschen übertragen, Anm.), etwa das Hantavirus oder das Seoul-Virus, das fünf bis zehn Prozent der Infizierten tötet. Uns geht es darum, zu sehen, ob das in Wien ein Risiko darstellt.

Die Ratte ist ein bekanntes Feindbild. Was ist mit der Maus?

Die können zum Beispiel das Lymphozytäre-Choriomeningitis-Virus (LCMV) tragen, dass grippeähnliche Symptome, aber auch Gehirnhautentzündung verursachen kann. Es ist auf Menschen übertragbar.

Muss ich Angst haben, wenn meine Katze mir eine tote Maus als Geschenk präsentiert?

Man sollte die Maus nicht angreifen und mit der Katze nicht schmusen. Das würde ich bei Freigängerinnen sowieso nicht machen. Katzen können sogar Vogelgrippe kriegen, wenn sie einen infizierten Vogel fangen und ihn fressen. Jedes Mal, wenn man mit einer anderen Spezies in näheren Kontakt kommt, kann etwas passieren. Schildkröten haben oft Salmonellen. Das muss man mitdenken.

Wie ist es mit Krähen oder Amseln?

Bei Wasservögeln wie Enten oder Schwänen st Influenza ein Thema, Amseln wiederum können Usutuviren in sich tragen, die um 2001 ein Amselsterben auslösten. Das Virus verursacht Infektionen bei Vögeln und wird über Mücken übertragen. Es gab aber auch schon Fälle bei Menschen mit Immunschwäche.

Bei der Forschungsarbeit soll die Bevölkerung mit einbezogen werden. Wie darf man sich das vorstellen?

Konkret arbeiten wir mit Oberstufenschüler:innen in New York, die Vogelkot in Parks sammeln. Den bringen sie ins Labor. Dort schauen wir gemeinsam, welche Viren der Kot enthält und die Schüler:innen präsentieren ihre Resultate bei einem Symposium. Auf diese Weise können wir die Jungen begeistern und viele beginnen auch eine Ausbildung Richtung Virologie oder Biowissenschaften. In New York hat unser Netzwerk auch einen Schulbus, der als Labor ausgestattet ist. So ähnlich könnten wir es auch hier machen.

Last but not least: In New York arbeiten Sie an einer Grippeimpfung gegen alle Stämme. Wie weit sind die Arbeiten vorangeschritten?

Wir befinden uns zwischen der klinischen Phase I und II. Das heißt, dass der Wirkstoff erstmals gesunden Freiwilligen verabreicht wird, um zu sehen, ob er sich für einen Einsatz beim Menschen eignet. In der Phase II wird dann ein Medikament zum ersten Mal an erkrankten Patienten überprüft, da geht es um die optimale Dosierung und die Wirksamkeit. Bisher sind die Arbeiten erfolgreich, aber sie werden länger dauern. Ich bin nicht der Einzige, der an einer generellen Influenza-Impfung arbeitet, und einige sind schon gescheitert. Unser Plan ist, im zweiten Quartal 2025 wieder mit weiteren klinischen Studien zu beginnen.

QOSHE - Wenn uns die Maus krank macht - Eva Stanzl
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Wenn uns die Maus krank macht

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03.04.2024

Sie leiten ab kommenden Jahr das Ignaz Semmelweis Institut, ein Kompetenzzentrum für Infektionskrankheiten. Welche Viren könnten uns in Zukunft gefährlich werden?

Viren, die sich über die Atemwege übertragen, sind ein Problem, weil sie sich so leicht verbreiten. Die Pandemiebeobachtung sollte zumindest vier Erreger-Familien im Auge behalten: Coronaviren, Orthomyxoviren, Paramyxoviren und Bunyaviren.

Welche Krankheiten lösen diese vier Erreger-Familien aus?

Ein Beispiel für Coronaviren haben wir gerade erlebt. Orthomyxoviren lösen Influenza aus. Bunyaviren sind etwa für das Krim-Kongo-Fieber verantwortlich. Dabei handelt es sich um ein Fieber, das Erbrechen, Durchfall und innere Blutungen auslöst. Es ist in der Türkei und am Balkan verbreitet. Die Hälfte der Patient:innen stirbt an der Krankheit. Sie wird von Zecken übertragen. Auch Hantaviren, die weltweit vorkommen und über den Speichel oder Kot infizierter Nagetiere Menschen anstecken, gehören zu dieser Familie. Aus Südamerika kennen wir ein Hantavirus namens Andesvirus, das schon Mensch-zu-Mensch-Übertragungen vollzogen hat und etwa 30 Prozent der Infizierten tötet. Dort wurden die Betroffenen in Quarantäne geschickt, um die Verbreitung zu stoppen. Die Maßnahme hat gewirkt.

Gab es in Österreich auch schon Fälle?

Hantaviren gibt es in der Steiermark in Form des Puumala-Virus, das meistens mit grippeähnlichen Verläufen und Nierenversagen einhergeht. Pro Jahr infizieren sich bis zu 200 Menschen. Allerdings ist die österreichische Version nicht von Mensch zu Mensch übertragbar.

Gibt es Kipppunkte, ab denen gefährliche Erkrankungen auch in Österreich dauerhaft zirkulieren?

Das ist oft Zufall. Menschen können sich zwar über Tiere infizieren, aber viele Viren sind nicht besonders gut darin, von Mensch zu Mensch zu springen. Das Andesvirus kann das, das........

© Wiener Zeitung


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