Wildschweine! Die Bissspuren sind unverkennbar. Auf fast jedem Weinstock abgefressene Trauben. So fand Andrea di Maio eines Sommermorgens in sengender Hitze seinen Weingarten vor. „In der Toskana war der Sommer 2021 extrem heiß und extrem trocken. Die Wildschweine waren offenbar halb wahnsinnig vor Durst. Sie haben sogar den Elektrozaun durchbrochen, der scheußlich weh tut, um an irgendetwas Flüssiges zu kommen“, sagte di Maio, Önologe und Miteigentümer des Weinguts Fattoria Kappa, in der toskanischen Maremma, kürzlich zur WZ am Rande eines Besuchs in Wien. „Wir konnten in dem Jahr nur ein Drittel der üblichen Menge lesen.“

Die Folgen des Klimawandels machen nicht nur Wildschweine zu immer aggressiveren Trauben-Vernichtern. Auch kleinere Schädlinge machen sich an den Stöcken zu schaffen. Extreme Trockenheit schwächt die Reben, da die Böden metertief austrocknen. Die steinharte Erde kann zwischenzeitlich einsetzenden Starkregen schwer aufnehmen, viel Wasser rinnt ab oder verdampft. Das wiederum erzeugt eine Art tropisches Klima, in dem sich falscher und echter Mehltau, Grauschimmel und Schwarzfäule so schnell wie die Gelsen vermehren. Die Reben stehen unter Stress. Nicht nur in der Toskana und nicht nur im Süden, sondern europa- und weltweit und auch in unseren Breiten. Überall ist die Sonne zu heiß.

Früher entfernten Winzer möglichst viel Laub von den Stöcken, damit die Beeren genug Licht bekamen, um von allen Seiten reifen zu können. Heute wird der Laubschnitt so vorgenommen, dass sie die Sonnenseite der Rebe zumindest für einen Teil des Tages beschatten. Wer das unterlässt, riskiert, teils schon im Sommer lesen zu müssen, wenn die biologische Reife der Früchte noch längst nicht abgeschlossen ist, denn auch die Trauben bekommen Sonnenbrand. Immer mehr Winzer bewässern ihre Weinberge mit kostspieligen Anlagen.

Besonders Weinreben, an denen man die Säure schätzt, wie der Grüne Veltliner, haben bei Wärme ihre Mühe. Unter dem Motto „Der letzte Jahrgang“ wurde daher kürzlich bei einer Veranstaltung bei Wein&Co am Wiener Naschmarkt der originale Grüne Veltliner, wie es hieß, „zu Grabe getragen“. Dompfarrer Toni Faber hielt ein nicht ganz ernst gemeintes Requiem, präsentiert wurden leere Weinflaschen mit schwarzen Schleifen. Wenn die Klimaerwärmung sich weiterhin so schnell wie jetzt entwickle, könnte Österreichs meistangebaute Traube ab 2040 Geschichte sein, hieß es. Die großtraubige Rebsorte brauche im Anbau einfach zu viel Wasser, um sich an die verschärften Wetterextreme gut anzupassen.

Über ein Drittel der Rebflächen in Österreich und über die Hälfte der Weinberge in Niederösterreich sind mit Grünem Veltliner bepflanzt. Dennoch würde Winzer Martin Minkowitsch heute keine neuen Veltliner-Reben mehr aussetzen: „Ich würde die Anbaufläche für andere Sorten, zum Beispiel französische, die wärmere Temperaturen besser vertragen, nutzen“, stellte er in Aussicht.

Tatsächlich ergeben Berechnungen aus dem Huglin-Index, der als Maß zur Beurteilung der Anbaufähigkeit von Rebsorten herangezogen wird, Verschiebungen bei den Weinbaugebieten. Herbert Formayer vom Institut für Meteorologie und Klimatologie der Universität für Bodenkultur beschreibt die Auswirkungen für die heimischen Weinsorten in dem Buch „Wein in Österreich“, indem er Gegenwart und Zukunft vergleicht. Während heute in Österreich in erster Linie Weißweinsorten – wie Veltliner, Riesling, Sauvignon Blanc oder Gewürztraminer – gedeihen, sei für Ende des Jahrhunderts mit einer Dominanz von Rotweinsorten zu rechnen, die den Veltliner ins kühlere Waldviertel schicken.

Willi Klinger, Top-Weinexperte in Österreich, denkt allerdings nicht, dass das schon morgen passieren wird. „Ich glaube nicht, dass der Grüne Veltliner in den kommenden zehn bis 20 Jahren sterben wird, oder dass wir in der Wachau bald Merlot oder süditalienische Sorten anbauen werden“, sagt der ehemalige Geschäftsführer der Österreich Wein Marketing und Gründungsgeschäftsführer der Handelskette Wein&Co: „Aber die Arbeitsweise in Weingarten und Keller muss sich noch stärker an die veränderten Bedingungen anpassen.“

Anpassungen benötigen ihre Zeit, weiß Winzer Gerhard Kracher nur zu genau. „Süßweine werden am besten, wenn die Trauben überreif gelesen werden. Doch dieser Zeitpunkt setzt heute viel früher ein“, sagt der Top-Süßweinwinzer zur WZ. Noch in den 1990er-Jahren startete die Weinsaison mit der Winterfeuchtigkeit durch den Schneefall. Heute fehlt Schnee schon zum Start, die Frühjahre sind trockener, die Temperaturen generell höher. „Der Reifegrad ist somit schneller erreicht. In den 1980er-Jahren haben wir vor Anfang November nicht an Lese gedacht. Heute müssen wir häufig Anfang Oktober beginnen“, sagt er, und kommt auf Botrytis cinerea zu sprechen.

Der richtige Einsatz dieses Schimmelpilzes verleiht Krachers weltberühmten Süßweinen aus Rosenmuskateller, Scheurebe oder Muskat Ottonel ihren charakteristischen Geschmack, der an Salzkaramellen erinnert. Die Edelfäule Botrytis bildet sich auf reifen Trauben bei warmem Herbstwetter, kann jedoch ohne die Feuchtigkeit des Frühnebels nicht wachsen. Nur wenige Weinbaugegenden zeichnen sich durch ein derartiges Klima aus – in diesem Fall ist das Illmitz am Neusiedlersee. „Bisher hatten wir immer Glück, dass es rechtzeitig feucht genug war, damit Botrytis entsteht“, erklärt der Winzer.

Sollte das einmal nicht mehr so sein, könnten Süßweinproduzenten eventuell mit künstlichen Pilzen nachhelfen. Denn für Eiswein – ein Süßwein, auf dessen Trauben keine Botrytis entstanden ist – ist es mittlerweile eher zu warm. „Früher war der Eiswein eine wunderbare Notlösung. Wir machten ihn in acht von zehn Jahrgängen. Aber heute friert es oft erst im Februar und damit zu spät. Bis dahin sind die Trauben so vielen Wetterbedingungen ausgesetzt, dass sie nicht mehr gut schmecken“, sagt Kracher. Seit mehr als 20 Jahren experimentiert er in Versuchsanlagen mit französischen Sorten, wie etwa Viognier oder Petit Manseng, die spät reifen und Hitze vertragen, jedoch zugleich zu den burgenländischen Böden passen müssen.

Die steigenden Temperaturen haben, abhängig von Region und Weinstilistik, allerdings nicht nur Nachteile: „Durch den Klimawandel hatten wir in den letzten 30 Jahren mehr tolle Jahrgänge als in den 40 Jahren davor“, räumt Kracher ein. Soll heißen: Die Erderwärmung ändert den Geschmack.

Tendenziell gibt mehr Wärme dem Wein weniger Säure und mehr Zucker. „Bereits vor 20 bis 30 Jahren zeichnete sich der Klimawandel im Geschmack der Jahrgänge ab“, beschreibt Willi Klinger die Situation. „Zunächst wurde das aber kaum wahrgenommen, das wärmere Wetter war den heimischen Winzern sogar willkommen.“

In den 1960er-Jahren, als es kühler war, waren heimische Weine nämlich oftmals grün. Der Begriff bezeichnet den Geschmack eines Weines, dessen Grundmaterial zum Lesezeitpunkt nicht reif genug war. „In den 1990er-Jahren wurde das Wetter in Österreich und insbesondere im Donauraum für hochwertigen Wein perfekt. 1997 und 1999 waren großartige Jahrgänge. 2000 und 2003 kamen die ersten Hitzejahre. Sie brachten besonders reife Trauben mit hohem Zuckergehalt“, erklärt Klinger.

Wer den Klimawandel am Geschmack der Weine nachvollziehen will, müsste sich also durch die Jahre kosten. „Erst nach zehn Jahren hat man einen brauchbaren Überblick“, sagt er. So sei heute klar, dass das heiße Jahr 2011 wärmer gewesen sei als das heiße Jahr 2003, und dass ein kühles Jahr heute nicht mehr so kühl sei wie früher. Möglicherweise hat die Winzerzunft auch deswegen ihre Zeit gebraucht, um dem sich verändernden Klima Neuerungen entgegenzusetzen.

An der Hochschule für Weinbau und Önologie im deutschen Geisenheim züchtet Kai Voss-Fels mit seinem Team neue Traubensorten. Die Universität im Rheingau ist eine der bekanntesten Forschungsinstitutionen für Weinbau weltweit. In seinem Arbeitsgebiet muss der Professor für Rebzüchtung allerdings zweigleisig fahren. Seine Arbeit dreht sich nämlich um den Unterschied zwischen unten und oben.

Jeder Weinrebe in Europa, deren edle Früchte wir über dem Boden ernten, liegt eine Unterlagsrebe zugrunde. Veredelte Sorten wie Grüner Veltliner, Rheinriesling oder Chardonnay, genannt Edelreis, stehen also nicht auf ihren eigenen Wurzeln, sondern sind unter der Erde auf eine wilde Sorte aufgepropft. Dabei werden zwei verschiedene Gehölze miteinander verbunden mit dem Ziel, eine Pflanze zu verbessern.

Der Grund ist die – leider nicht nur sprichwörtliche – Reblaus. Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie von den USA nach Europa eingeschleppt und vernichtete in unseren Breiten ganze Weinberge, da sie die empfindlichen Wurzeln der Rebstöcke auffraß. Da sie im Boden lebt, ist der Reblaus mit Spritzmitteln nicht beizukommen, ohne die ganze Rebe zu vergiften. Man entschied sich damals daher für das Konzept der Unterlagsrebe und die Wahl fiel folgerichtig auf eine wilde Sorte ebenfalls aus den USA, die genetisch gegen die wurzelfressende Reblaus resistent ist.

„Die Kombination von Unterlage und Edelreis macht Neuzüchtungen zwar komplexer als bei herkömmlichen Pflanzen, erhöht aber auch die Zahl der möglichen Anpassungsstrategien“, erklärt Voss-Fels. „Mit Blick auf die Unterlagen konzentrieren wir uns heute auch auf eine erhöhte Trockenstress-Toleranz und eine bessere Fähigkeit, Wasser aus dem Boden zu ziehen und zum Spross zu transportieren.“ Als vielversprechend habe sich eine Wildrebe aus einer „knochentrockenen“ Region in Texas namens Vitis Berlandieri erwiesen.

Grüner Veltliner, Rheinriesling und Chardonnay sollen aber nicht nur passiv besser versorgt werden, sondern sich auch selbst besser gegen die Folgen des Klimawandels wehren. Ihre Gene sollen gegen immer zahlreichere Schädlinge fit gemacht werden. „Wir haben es im Weinbau mit sehr alten Sorten zu tun. Der Riesling etwa ist 600 Jahre, der Spätburgunder sogar über 2.000 Jahre alt und die Schädlinge haben sich an sie angepasst“, sagt Voss-Fels. Daher werde „viel Aufwand betrieben“, um Weinstöcke gesund zu halten. Soll heißen: Ohne Spritzmittel, ob biologisch oder nicht, würde man einen traditionellen Riesling nicht bis zur Reife bringen, weil Schädlinge die Trauben vorher zerfressen würden.

Eine umweltfreundliche Lösung bieten neue Sorten, die genetisch gegen Pilze und Co resistenter gemacht wurden. „Dabei werden veredelte Sorten mit solchen gekreuzt, die eine höhere Stabilität gegen Hitze und Schädlinge haben“, sagt Ferdinand Regner, Leiter der Abteilung Rebenzüchtung an der Höheren Bundeslehranstalt (HBLA) für Weinbau in Klosterneuburg. Das ergibt eigentlich einen gemischten Satz, der aber nicht erst im Fass bei der Vergärung entsteht, sondern bereits innerhalb der Pflanze.

Da sie nicht reinsortig sind, müssen die neuen Sorten also auch anders heißen: „Pilzwiderstandsfähige (PiWi) Rebsorten“ ist der Fachbegriff für diese Varietäten. Muscat Bleu, Villaris oder Felicia sind einige ihrer blumigen Namen etwa in Deutschland. Ob man den Konsumenten dazu bringt, Weine mit diesen Fantasienamen zu kaufen, ist aber noch offen. „Das wird sicherlich eine kniffelige Frage für das Marketing“, sagt Voss-Fels.

Auch Österreich hat die neuen Sorten im Angebot. Etwa kultiviert das Weingut Bründlmayer in Langenlois eine pilzabweisende Sorte namens Donauriesling. Geschmacklich sei sie bei „Akazie, Holunder, Zitrusschalen, einem Hauch von Exotik und Bergamotte“ angesiedelt mit „eleganter, dichter Struktur“. Auch einen Donauveltliner hat das Team um Regner von der HBLA und des Bundesamts für Wein- und Obstbau mit Hilfe von Molekulargenetik hervorgebracht.

„Donauveltliner und Donauriesling sind aufgebaut an Grünem Veltliner und Rheinriesling und mit schädlingsstabileren Reben – in der Regel amerikanischen Arten – gekreuzt. Rein rechtlich kann jeder Winzer sie auspflanzen“, sagt Regner. Noch neuere Züchtungen, wie etwa der Veltlonner, würden derzeit auf Versuchsflächen angebaut.

Unterdessen tourt Andrea di Maio durchs Weinviertel, wo für die Toskana typische Rotweintrauben Cabernet Franc, Syrah oder Merlot in Zukunft vielleicht gute Erträge liefern könnten. Für seine eigenen Weingärten in der Nähe von Bolgheri erwägt er, probehalber hitzebeständigere Sorten aus Süditalien und Sizilien auszupflanzen, sollten Trockenheit und Hitze weiter zunehmen. Und er holt Angebote für aufwendige Bewässerungsanlagen ein, die nicht nur die Trauben retten, sondern vielleicht sogar durstige Wildschweine mitversorgen könnten.

QOSHE - Wie Winzer:innen ihre Reben klimafit machen - Eva Stanzl
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wie Winzer:innen ihre Reben klimafit machen

6 0
17.11.2023

Wildschweine! Die Bissspuren sind unverkennbar. Auf fast jedem Weinstock abgefressene Trauben. So fand Andrea di Maio eines Sommermorgens in sengender Hitze seinen Weingarten vor. „In der Toskana war der Sommer 2021 extrem heiß und extrem trocken. Die Wildschweine waren offenbar halb wahnsinnig vor Durst. Sie haben sogar den Elektrozaun durchbrochen, der scheußlich weh tut, um an irgendetwas Flüssiges zu kommen“, sagte di Maio, Önologe und Miteigentümer des Weinguts Fattoria Kappa, in der toskanischen Maremma, kürzlich zur WZ am Rande eines Besuchs in Wien. „Wir konnten in dem Jahr nur ein Drittel der üblichen Menge lesen.“

Die Folgen des Klimawandels machen nicht nur Wildschweine zu immer aggressiveren Trauben-Vernichtern. Auch kleinere Schädlinge machen sich an den Stöcken zu schaffen. Extreme Trockenheit schwächt die Reben, da die Böden metertief austrocknen. Die steinharte Erde kann zwischenzeitlich einsetzenden Starkregen schwer aufnehmen, viel Wasser rinnt ab oder verdampft. Das wiederum erzeugt eine Art tropisches Klima, in dem sich falscher und echter Mehltau, Grauschimmel und Schwarzfäule so schnell wie die Gelsen vermehren. Die Reben stehen unter Stress. Nicht nur in der Toskana und nicht nur im Süden, sondern europa- und weltweit und auch in unseren Breiten. Überall ist die Sonne zu heiß.

Früher entfernten Winzer möglichst viel Laub von den Stöcken, damit die Beeren genug Licht bekamen, um von allen Seiten reifen zu können. Heute wird der Laubschnitt so vorgenommen, dass sie die Sonnenseite der Rebe zumindest für einen Teil des Tages beschatten. Wer das unterlässt, riskiert, teils schon im Sommer lesen zu müssen, wenn die biologische Reife der Früchte noch längst nicht abgeschlossen ist, denn auch die Trauben bekommen Sonnenbrand. Immer mehr Winzer bewässern ihre Weinberge mit kostspieligen Anlagen.

Besonders Weinreben, an denen man die Säure schätzt, wie der Grüne Veltliner, haben bei Wärme ihre Mühe. Unter dem Motto „Der letzte Jahrgang“ wurde daher kürzlich bei einer Veranstaltung bei Wein&Co am Wiener Naschmarkt der originale Grüne Veltliner, wie es hieß, „zu Grabe getragen“. Dompfarrer Toni Faber hielt ein nicht ganz ernst gemeintes Requiem, präsentiert wurden leere Weinflaschen mit schwarzen Schleifen. Wenn die Klimaerwärmung sich weiterhin so schnell wie jetzt entwickle, könnte Österreichs meistangebaute Traube ab 2040 Geschichte sein, hieß es. Die großtraubige Rebsorte brauche im Anbau einfach zu viel Wasser, um sich an die verschärften Wetterextreme gut anzupassen.

Über ein Drittel der Rebflächen in Österreich und über die Hälfte der Weinberge in Niederösterreich sind mit Grünem Veltliner bepflanzt. Dennoch würde Winzer Martin Minkowitsch heute keine neuen Veltliner-Reben mehr aussetzen: „Ich würde die Anbaufläche für andere Sorten, zum Beispiel französische, die wärmere Temperaturen besser vertragen, nutzen“, stellte er in Aussicht.

Tatsächlich ergeben Berechnungen aus dem Huglin-Index, der als Maß zur Beurteilung der Anbaufähigkeit von Rebsorten herangezogen wird, Verschiebungen bei den Weinbaugebieten. Herbert Formayer vom Institut........

© Wiener Zeitung


Get it on Google Play