In Deutschland ist er in Sicherheit. Marlon Mustapha, 22, läuft dort befreit über saftig grünen Rasen, in kurzen Hosen, sogar ein Tor hat er für seinen Verein Fortuna Düsseldorf schon erzielt. In Österreich droht ihm hingegen die Haft. Der Profifußballer hat einen Einberufungsbefehl des österreichischen Bundesheeres verweigert. Männer sind hierzulande wehrpflichtig und müssen einen sechsmonatigen Grundwehrdienst ableisten. Am 8. Jänner hätte Mustapha in der Wiener Maria-Theresien-Kaserne erscheinen sollen. Doch er tauchte nicht auf. Mustapha sah seine Karriere gefährdet – und fürchtete, dass sein Verein ihn auf Vertragsbruch klagen könne. Er entschied sich fürs Sporteln, gegen das Salutieren. Das Bundesheer sieht darin einen klaren Fall von Wehrdienstverweigerung. „Er ist nicht eingerückt – und in weiterer Folge wird natürlich nach ihm gefahndet“, heißt es auf WZ-Nachfrage.

Der Fall des Marlon Mustapha wurde öffentlich – und warf die Frage auf: Wie machen das andere Fußballprofis? Und noch wichtiger: Wie kommt Mustapha da wieder raus? WZ-Recherchen zeigen: Einige Profis können es sich richten. Und: Das Bundesheer lässt sich durchaus auf kleine Win-Win-Kooperationen ein.

Für die meisten Burschen ist die Wehrpflicht kein Problem. Sie bringen die sechs Monate nach der Schule hinter sich – und beginnen dann zu arbeiten oder zu studieren. Für Profifußballer ist das schwieriger. Sie arbeiten ihre gesamte Jugend darauf hin, Teil eines elitären Zirkels zu werden: dem Fußballgeschäft. Und das unter Zeitdruck. Nur bis zum Alter von etwa 35 Jahren kann man professionell kicken – und nebenbei zum Star und Millionär werden. Ausgerechnet in dieser Phase und am Sprung in die Glitzer-Welt ruft das Heer mit seinem kargen Kasernen-Charme, mit Schießübungen, Schlamm-Robben und Befehls-Tamtam.

Mustapha, ein Wiener mit freundlichem Gesicht, dessen Vater aus Ghana stammt, kämpft seit Jahren verbissen um eine Chance in dieser Branche. Seit er 17 ist, steht er im Ausland unter Vertrag: beim deutschen Bundesligisten Mainz, dem italienischen Klub Como, nun in Düsseldorf. Er ist ein vielseitiger Stürmer, groß, athletisch – aber der endgültige Durchbruch für eine abgesicherte Karriere gelang ihm noch nicht. Jedes Wochenende kämpft er in Deutschland um Einsatzzeit. Sprechen kann man ihn derzeit nicht. Die Lage ist zu heikel. Der „Krone“ aber erklärte er Ende Jänner: „Ich habe jahrelang für diese Chance gekämpft“ und als Fußballprofi naturgemäß wenig Zeit, um „etwas aufzubauen“. Viele seiner Legionärskollegen mussten bislang nicht zum Heer. Er hingegen werde „wie ein Schwerstverbrecher behandelt“.

Oberst Michael Bauer, der Sprecher des Verteidigungsministeriums, erklärt im WZ-Gespräch, dass Mustapha mehrmals ein zeitlich befristeter Aufschub seiner Wehrpflicht gewährt wurde. Nur zuletzt sei kein Ansuchen erfolgt. Aus dem Mustapha-Umfeld ist zu hören, dass die bisherigen Aufschübe aufgrund von Verletzungen gewährt wurden, im aktuellen Fall will man durchaus „Lösungsvorschläge“ eingereicht haben – aber ohne Erfolg.

Es stellt sich die Frage: Wie erhält man eigentlich einen Aufschub? Es gäbe da „gesetzliche Gründe“, erklärt Oberst Bauer. Etwa: Eine laufende Ausbildung wird vom Bundesheer nicht unterbrochen. Oder: „Sie übernehmen einen Bauernhof, weil ihre Eltern gestorben sind und niemand sonst da ist, der diesen bewirtschaften kann.“ Politiker hätten schon eine Befreiung erhalten, „wenn sie für die Republik sehr wichtig sind“. Auch für Profisportler gibt es eine Lösung. Das Bundesheer verfügt über zehn Heeressportzentren. Dabei absolvieren erfolgreiche Kicker eine mehrwöchige Grundausbildung und können dann beim Heer sporteln oder zurück zu ihrer Mannschaft. Das Problem: Die Plätze sind begrenzt. Zwei Kriterien sind entscheidend: Man muss in der heimischen Bundesliga und im Nationalteam spielen. Beides trifft auf Mustapha aber nicht zu. Oberst Bauer betont, es gebe noch eine andere Variante – eine etwas österreichische. Konkret spricht er von „Kulanz-Möglichkeiten“. „Man hätte auch für Mustapha eine Lösung gefunden“, sagt er, „weil in anderen Fällen auch Lösungen gefunden werden.“

Wie diese aussehen, kann Max Hagmayr, 67, erklären. Der Ex-Fußballer und Jurist ist ein Schwergewicht unter den heimischen Spielerberatern, der damit wirbt, für seine Kicker in allen Belangen da zu sein. Er sei schon lange im Geschäft, betont er im WZ-Gespräch, und habe deshalb gute Kontakte zum Heer. Dieses sei laut Hagmayr „sehr kooperativ und hilft, wo es möglich ist“. Einer seiner Klienten, der österreichische Teamspieler Dejan Ljubicic, stand im Sommer 2021 vor einem Dilemma. Damals unterschrieb der Rapid-Kicker einen Vertrag beim 1. FC Köln. Das Problem: Mit Dienstbeginn in Deutschland startete sein Grundwehrdienst in Wien. Hagmayr nützte seine guten Kontakte – und fand gemeinsam mit dem Bundesheer eine Lösung. Hagmayrs Klient musste bloß die vierwöchige Grundausbildung absolvieren. Dann kam ein Fernsehteam aus Köln, filmte Ljubicic medienwirksam in Militärklamotten beim Abrüsten – danach flog der Fußballstar zum neuen Arbeitgeber.

WZ-Recherchen zeigen, dass sich das Bundesheer gerne mit Promi-Kickern schmückt. Österreichs Fußballstar David Alaba musste erst 2020 im Alter von 27 Jahren zur Musterung. Das Bundesheer ließ dabei Fotos von Alaba im Militärleibchen schießen. Oberst Bauer fragte bei dessen Vater an, „ob wir die Bilder veröffentlichen dürfen“. Sie durften. Alaba wurde zum Medienhit und zum Gratis-Werbeträger für das Heer. Nicht zu seinem Nachteil. Bis zum Alter von 35 Jahren können Wehrpflichtige einberufen werden. Der 31-jährige Alaba, aktuell in Diensten von Real Madrid, wurde das laut Oberst Bauer aber bislang nicht. „Wenn jemand sagt, dass er gerade so im Saft ist, dass es sich bei ihm nicht ausgeht, dann sind wir nicht die, die sagen: Du kommst, sonst wirst du festgenommen!“

Einer aus der Fußballbranche erzählt der WZ: Das Bundesheer habe durch die Berichterstattung „mit einem erfolgreichen Sportler natürlich einen Gewinn, da zahlen viele Firmen sehr viel Geld. Das Bundesheer kriegt das gratis und gibt andere Leistungen dafür her“. Vereine, die Fotos zulassen, würden so versuchen, die Zusammenarbeit angenehmer zu gestalten, erzählen mehrere Insider der WZ. So tauchen immer wieder Bilder von Kickern beim Militär auf. Etwa von Junior Adamu, dem Ex-RB-Salzburg-Kicker und ÖFB-Teamspieler, der auf der Website des Verteidigungsministeriums beim Scharfschießen und im Camouflage-Look zu sehen ist. 2022 trainierte Adamu als Heeressportler mit seinem Team – in dieser Zeit fand sich auf seinem Trikot (klein, aber klar sichtbar) das Logo des Bundesheeres. Dafür müssten Werbepartner viel Geld locker machen. Oberst Bauer erklärt: „Wir sagen: Du hast die Möglichkeit zu trainieren, dafür trägst du unser Logo.“

Marlon Mustapha, nach dem nun gefahndet wird, erklärte Ende Jänner der „Krone“, dass es ihm „wirklich das Herz“ breche, „nie für mein Land spielen zu können, meine Familie und Freunde nicht mehr sehen zu dürfen“. Der Tenor bei Klubs, Beratern und Heeresvertretern ist: das Gespräch suchen und kooperieren. „Sich totstellen bringt nirgends was“, sagt Spielerberater Hagmayr. „Da verstehe ich auch, wenn das Bundesheer sauer ist.“ Etwa zehn Männer verweigern im Schnitt pro Jahr die Wehrpflicht, verrät Oberst Bauer. Nicht bloß Fußballer. Ein prominenter Fall war der Ex-Grünen-Politiker und Medienmanager Pius Strobl, der Anfang der 1990er-Jahre verhaftet und als Wehrdienstverweigerer zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Andere ziehen gegen ihre Einberufung vor Gericht. Etwa der Ex-Rapid-Kicker Mert Müldür. Dieser sollte im Jänner 2020 einrücken – doch da spielte er in Italien. Er klagte. Und scheiterte. Heute spielt Müldür, 24, für Fenerbahce Istanbul und lebt in der Türkei. Anders verlief es vor Gericht für einen Balletttänzer, der argumentierte, dass seine Tanzkunst und seine darauf abgestimmten Muskeln durch die rustikalen Heeresdienste Schaden nähmen. Das Militärkommando lehnte ab – doch der Verwaltungsgerichtshof gab ihm Recht.

Wie geht es nun mit Marlon Mustapha weiter? Der Berater des Spielers möchte sich auf WZ-Nachfrage „zur Militär-Angelegenheit nicht äußern“ und verweist auf „ein laufendes Verfahren“. Der ÖFB versuchte, in der Causa zu vermitteln. Doch die Lage ist verzwickt. Kulanz bei einem öffentlich debattierten Fall sähe nun nach Bevorzugung eines prominenten Kickers und folglich nach Amtsmissbrauch aus. Wie kommt er da wieder raus? „Einrücken muss er“, sagt Oberst Bauer kurz und knapp. Und dann ist alles gut? Nun ja, „ein Disziplinarverfahren wird auf alle Fälle gegen ihn eingeleitet“. Bauer sagt: „Irgendeine Konsequenz muss es ja haben, schon allein aus generalpräventiven Gründen.“ Es werde ja berichtet, er sei eine prominente Person. „Sonst sagt künftig jeder: Ich rücke nicht ein und suche mir dann aus, wann ich komme, weil mir eh nichts passiert.“

Marlon Mustapha treibt derweil seine Karriere in Deutschland voran. Spätestens im Sommer könnte es aber heikel für ihn werden. In den letzten Jahren verbrachte sein Klub das Trainingslager immer in Österreich. Oberst Bauer sagt: „In dem Moment, wo er österreichisches Staatsgebiet betritt, legt ihm die Militärpolizei nahe, dass er in der nächsten halben Stunde oder Stunde einrückt.“ Nachsatz: „Im schlimmsten Fall wird er festgenommen.“

QOSHE - Fahndung läuft: Profikicker muss einrücken und flüchtet - Gerald Gossmann
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Fahndung läuft: Profikicker muss einrücken und flüchtet

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13.03.2024

In Deutschland ist er in Sicherheit. Marlon Mustapha, 22, läuft dort befreit über saftig grünen Rasen, in kurzen Hosen, sogar ein Tor hat er für seinen Verein Fortuna Düsseldorf schon erzielt. In Österreich droht ihm hingegen die Haft. Der Profifußballer hat einen Einberufungsbefehl des österreichischen Bundesheeres verweigert. Männer sind hierzulande wehrpflichtig und müssen einen sechsmonatigen Grundwehrdienst ableisten. Am 8. Jänner hätte Mustapha in der Wiener Maria-Theresien-Kaserne erscheinen sollen. Doch er tauchte nicht auf. Mustapha sah seine Karriere gefährdet – und fürchtete, dass sein Verein ihn auf Vertragsbruch klagen könne. Er entschied sich fürs Sporteln, gegen das Salutieren. Das Bundesheer sieht darin einen klaren Fall von Wehrdienstverweigerung. „Er ist nicht eingerückt – und in weiterer Folge wird natürlich nach ihm gefahndet“, heißt es auf WZ-Nachfrage.

Der Fall des Marlon Mustapha wurde öffentlich – und warf die Frage auf: Wie machen das andere Fußballprofis? Und noch wichtiger: Wie kommt Mustapha da wieder raus? WZ-Recherchen zeigen: Einige Profis können es sich richten. Und: Das Bundesheer lässt sich durchaus auf kleine Win-Win-Kooperationen ein.

Für die meisten Burschen ist die Wehrpflicht kein Problem. Sie bringen die sechs Monate nach der Schule hinter sich – und beginnen dann zu arbeiten oder zu studieren. Für Profifußballer ist das schwieriger. Sie arbeiten ihre gesamte Jugend darauf hin, Teil eines elitären Zirkels zu werden: dem Fußballgeschäft. Und das unter Zeitdruck. Nur bis zum Alter von etwa 35 Jahren kann man professionell kicken – und nebenbei zum Star und Millionär werden. Ausgerechnet in dieser Phase und am Sprung in die Glitzer-Welt ruft das Heer mit seinem kargen Kasernen-Charme, mit Schießübungen, Schlamm-Robben und Befehls-Tamtam.

Mustapha, ein Wiener mit freundlichem Gesicht, dessen Vater aus Ghana stammt, kämpft seit Jahren verbissen um eine Chance in dieser Branche. Seit er 17 ist, steht er im Ausland unter Vertrag: beim deutschen Bundesligisten Mainz, dem italienischen Klub Como, nun in Düsseldorf. Er ist ein vielseitiger Stürmer, groß, athletisch – aber der endgültige Durchbruch für eine abgesicherte Karriere gelang ihm noch nicht. Jedes Wochenende kämpft er in Deutschland um Einsatzzeit. Sprechen kann man ihn derzeit nicht. Die Lage ist zu heikel. Der........

© Wiener Zeitung


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