„Ü-Ü-Ü-Ümit“, hallte es durchs Wiener Ernst-Happel-Stadion. Sommer 2008, die EM im Land, 50.000 Fans mit rot-weiß-roten Hüten und bemalten Wangen jubelten einem Mann zu: Ümit Korkmaz, Sohn türkischer Einwanderer. Ein wieselflinker Tempodribbler. Sein Spezialgebiet: Haken, Übersteiger. Die Menge johlte: „Ü-Ü-Ü-Ümit“. Fans gierten nach Spielern dieser Art. Das österreichische Nationalteam war damals kein Straßenfeger. Es gab wenige Talente, fast keine Kicker in Topligen. Doch dann keimte Hoffnung auf im Land. Einwandererkinder drängten in die Nationalmannschaft und belebten das Spiel. Darunter viele Söhne türkischer Migranten: Veli Kavlak, Yasin Pehlivan, Ekrem Dag, Ramazan Özcan, Ümit Korkmaz, die beinahe gleichzeitig für Österreich aufliefen.


Über 300.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben aktuell im Land – viele davon sind extrem fußballbegeistert. Im ÖFB dachte man: der Trend türkischstämmiger Top-Kicker werde sich fortsetzen und gar verstärken. Doch das Gegenteil trat ein: Im Nationalteam spielt derzeit kein einziger. Auch bei den Bundesliga-Topteams sieht es nicht besser aus. Warum schaffen es nur noch so wenige Türkischstämmige ganz nach oben?

Ümit Korkmaz, der Fan-Liebling von 2008, ist heute 38 Jahre alt und in Fußballerpension. Er schaffte es in die Deutsche Bundesliga, war Meister mit Rapid Wien – und einer der ersten türkischstämmigen Stars im Land. Korkmaz müsste es wissen: Wie gelingt einem Einwandererkind der Durchbruch? Er sei durch Zufall entdeckt worden, erzählt er im WZ-Gespräch. Von einem Müllmann. Dem fiel Ümit im Fußballkäfig auf, er brachte ihn zu einem kleinen Verein – wo Rapid auf ihn aufmerksam wurde. Er habe bloß aus Freude Fußball gespielt, ohne Druck der Eltern – und dann etwas Glück gehabt, als der Müllwagen am Fußballkäfig hielt. Seine Mutter war Putzfrau, der Vater Lagerarbeiter; zu Hause seien sie „in Tränen ausgebrochen, weil ich in einem Monat so viel verdient habe wie meine Eltern in einem Jahr“.

Erfolgsgeschichten wie jene von Korkmaz haben aber auch etwas verändert. Die WZ hat sich in der Branche umgehört, mit Akademie-Leitern, Nachwuchstrainern und türkischstämmigen Fußball-Insidern gesprochen. Der Tenor: Viele Einwanderer aus der Türkei sähen nun im Fußballgeschäft die große Chance auf ein besseres Leben – und den Millionen-Jackpot. Schon früh stünden ihre Kinder deshalb „extrem unter Druck“, wird erzählt. Eltern würden dabei oftmals davon ausgehen „den nächsten Weltstar zu Hause zu haben“, erzählt der Nachwuchschef eines heimischen Topklubs. Das verursacht Probleme. Trainer berichten von Vätern, die ihnen im Kabinengang auflauern, „weil der Sohn ausgewechselt worden ist, und fast eine Schlägerei anzetteln“.

Einblicke in die WZ-Redaktion. Ohne Blabla.

Ein Akademieleiter erzählt von einem Jungen, der durch den Dauer-Druck des Vaters die Freude am Spielen verlor – und schlussendlich den Verein verließ. „Ich könnte viele solcher Geschichten erzählen“, sagt einer. Viele Burschen würden in einer Zwickmühle stecken: Einerseits wollen sie den Wünschen der Eltern gerecht werden, andererseits verlieren sie dadurch die Lust am Kicken.

Nachwuchsakademien großer Vereine reagierten darauf. Bevor sie einen Burschen aufnehmen, überprüfen sie das Elternhaus. „Wenn du zwischen zwei gleich guten Spielern wählen musst“, erzählt der Nachwuchsleiter eines großen österreichischen Vereins, „dann nimmst du denjenigen, wo du am Ende weißt, dass du weniger Probleme haben wirst.“ Konflikte mit Eltern am Spielfeldrand werden nicht gern gesehen. Und: „Spieler, die von zu Hause Stress bekommen, haben nie Ruhe, sie können sich schwer entwickeln und bringen dem Verein schlussendlich nichts.“

Viele Söhne türkischer Zuwanderer würden schon im Kindesalter regelrecht „gedrillt“, berichten mehrere Trainer gegenüber der WZ. Die Eltern engagieren Berater, bezahlen teure Privattrainingseinheiten, erstellen Instagram-Profile. Das Ziel: Ihre Kinder sollen millionenschwere Stars werden. Tatsächlich finden sich in Wien zahlreiche Angebote für Individualcoachings. Etwa das Wiener „Fußball-Labor“. Kinder ab dem siebten Lebensjahr will man hier „mit Hilfe unserer Erfahrung auf die große Fußballwelt vorbereiten“, heißt es. Die Gründer Jürgen Csandl und Sertan Günes sind Coaches – und im Hauptberuf – Scout und Spielerberater für SBE Management.

So betreut Günes (neben vielen anderen türkischstämmigen Spielern) etwa den 20-jährigen Yusuf Demir. Dieser galt als größtes österreichisches Talent der letzten Jahre, eine weltweite Transferaktie, die in internationalen Gazetten als „Austrian Messi“ gepriesen wurde. Sein Werdegang hat die Ambitionen türkischer Einwanderer noch verstärkt. Yusuf war schon als kleiner Junge ein auffälliges Talent. Technisch stark, trickreich; einer, der aus dem Nichts den Ball ins Kreuzeck zirkelt. Sein Vater Hasan, gebürtiger Türke, kam nach jedem Nachwuchs-Spiel mit einem Packen Visitenkarten von Beratern nach Hause – da war Yusuf gerade 13 Jahre alt.

Yusuf Demirs Eltern kamen vor 20 Jahren als Gastarbeiter ins Land. Vater Kellner, Mutter Supermarkt-Angestellte, ein Leben im Gemeindebau. Der junge Yusuf konnte seine Familie nun zu reichen Leuten machen. In einem Interview betonte er früh, einmal Weltfußballer werden zu wollen. Bei Rapid dagegen versuchte man, ihn langsam zu entwickeln. Er finde die Praxis verwerflich, „16-jährige Buben zu den größten Talenten aller Zeiten“ hochzustilisieren, „nur um sie teuer verkaufen zu können“, kritisierte Rapid-Sportchef Zoran Barisic. Mit 18 wurde Demir tatsächlich vom großen FC Barcelona ausgeliehen, kurz darauf spielte er erstmals für Österreich. Es sah nach Weltkarriere aus. Doch die Kaufoption zogen die Spanier nicht. Retour bei Rapid wirkte der junge Bursch desillusioniert. Am liebsten würde Demir ganzen Tag mit dem Ball tänzeln – ohne das ganze Drumherum, heißt es. Doch das Geschäft ist, wie es ist. Für sechs Millionen Euro kaufte ihn Galatasaray Istanbul. Aktuell ist er an den FC Basel verliehen – wo er erneut auf der Ersatzbank sitzt.

Auffällig ist: Auch bei den fünf heimischen Top-Klubs spielen fast keine türkischstämmigen Österreicher. In den Bundesliga-Kadern von Austria Wien, RB Salzburg, Sturm Graz und dem LASK findet sich kein einziger. Immerhin bei Rapid Wien gelang dem 19-jährigen Furkan Dursun zuletzt der Sprung ins erweiterte Aufgebot. Je niedriger die Altersstufe, desto mehr Spieler mit türkischen Wurzeln finden sich in den Kadern. Je näher es Richtung Profi-Betrieb geht, desto weniger. Das hat mehrere Gründe, die beinahe alle WZ-Gesprächspartner ähnlich erklären. Früher verfielen Nachwuchsleiter regelmäßig in Euphorie: Wenn wieder einmal ein 14-jähriger Austro-Türke seine Alterskollegen blass aussehen ließ. Dann aber machte sich Ernüchterung breit: Viele erfüllten in späteren Jahrgängen die Erwartungen nicht. Man suchte nach Erklärungen und stellte fest: Viele seien körperlich Frühentwickler und durch privates Spezialtraining in jungen Jahren im Vorteil gegenüber Gleichaltrigen. Mit den Jahren aber verschwinde dieser. Längerfristig seien sie „nicht so oft stabil“, erzählen mehrere Trainer. In einer Akademie, so verrät ein involvierter Coach, habe man sich deshalb genauer angesehen, „wie der Output bei gewissen Spielern ist und welche förderungswürdig sind und welche nicht“.

Schaffen sie es hier nicht, wechseln viele früh und überstürzt ins Ausland, etwa in die Türkei. Das Land wirbt offensiv um talentierte Auslands-Türken. Ümit Korkmaz rät im WZ-Gespräch davon ab, allzu früh in die Heimat seiner Eltern zu wechseln. Er selbst ging als gestandener Spieler zu Rizespor – und war „von den Sitten“ überrascht. „Ich habe mich fremd gefühlt“, erzählt er. Trotz seiner türkischen Wurzeln sei er dort ein Ausländer geblieben. Als er damals im Frühstücksraum zu essen begann, wurde es um ihn herum ganz still. „Dann habe ich erfahren: Bevor der Kapitän nicht da ist, wird nicht gegessen.“ „Am Ende", sagt er, „war ich froh, wieder in Wien zu sein.“ Junge Spieler seien vom rauen Umgang schnell verschreckt, erzählt man in der Branche. Sie kehren dann reuig zurück, klopfen erneut bei heimischen Klubs an – doch dort kennt man ungeduldige Familien und lässt immer öfter die Finger davon. Wer es nicht nach oben schafft, spielt im Unterhaus weiter. In Wien gibt es sogar türkische Vereine: den FC Besiktas Wiener Adler oder den SC Anatolia.

Sertan Günes, Spielerberater und Individualcoach, erzählt gegenüber der WZ, dass er mehrere Generationen türkischstämmiger Nachwuchsspieler betreue. „90 Prozent sind technisch sehr versiert“, sagt er. Klassische Edeltechniker und Spielmacher. Einst hoffte man im österreichischen Fußballbetrieb genau auf solche Migrantenkinder, die alte Tugenden zurückbrächten, wie sie einst Straßenkicker wie Herbert Prohaska ausgezeichnet hatten. Doch dann wandelten sich die Anforderungen an Profifußballer im Land.

Es geht nun weniger ums Spielen, sondern ums Laufen: bei den Bundesliga-Topteams – und im Nationalteam. Vor wenigen Tagen traf Österreich auf die Türkei (die mit Ballzauberern von Real Madrid, Inter Mailand und Juventus Turin angereist war). Endstand: 6:1. Österreich spielte kraftvoll, aggressiv, mutig, erfolgreich – aber – fast ohne Migrationshintergrund. Konrad Laimer, Xaver Schlager, Christoph Baumgartner, Michael Gregoritsch und Nicolas Seiwald kämpften, grätschten, pressten – und siegten. „Ich erkläre es den Jungs täglich“, sagt Spielerberater Günes, „ohne Athletik, Kampf, Laufen, gegen den Ball arbeiten, geht es nicht mehr. Viele verlassen sich zu sehr auf ihr Talent, den Ball und ihre Technik. Das ist der Grund, warum es so wenige Türkischstämmige in die Bundesliga schaffen.“

Eine Handvoll Jung-Kicker mit türkischen Wurzeln spielt in den ÖFB-Nachwuchsnationalmannschaften. „Sie dürfen aber nicht zu früh denken, dass sie es geschafft haben und sich in den Schaukelstuhl setzen“, sagt Korkmaz. „David Alaba wurde nicht von Bayern München verpflichtet, weil er der Schönste ist. Der Herr hat Leistung gebracht.“ In Deutschland ist Ilkay Gündogan (der Ex-Manchester-City-Star und aktuelle Barcelona-Kicker) Kapitän der Nationalmannschaft. Davor war Mesut Özil das Role-Model. Österreichs Fußball bildet Migration weiterhin ab – aber aus anderen Herkunftsländern. Die großen Stars der Nationalmannschaft waren und sind oft Balkanspieler: Arnautovic, Dragovic, Junuzovic, Vastic. Derzeit spielen viele mit nigerianischen, ghanaischen, serbischen, indischen und rumänischen Wurzeln im ÖFB-Nationalteam – aber keiner mit türkischen.

Die größte Chance, der nächste Korkmaz im Nationalteam zu werden, hat immer noch Yusuf Demir. In Basel spielt er nicht. Aber als er letztens für die U21-Nationalmannschaft eingewechselt wurde, wirkte er spielfreudig, im fast leeren Mini-Stadion des SV Ried. Kurz nachdem er aufs Feld gelaufen war, erzielte er prompt ein Tor – per Freistoß, so wie er es am liebsten macht: ein Kunstschuss, direkt ins Kreuzeck.

QOSHE - Warum spielen keine Austro-Türken mehr für Österreich? - Gerald Gossmann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Warum spielen keine Austro-Türken mehr für Österreich?

34 1
14.04.2024

„Ü-Ü-Ü-Ümit“, hallte es durchs Wiener Ernst-Happel-Stadion. Sommer 2008, die EM im Land, 50.000 Fans mit rot-weiß-roten Hüten und bemalten Wangen jubelten einem Mann zu: Ümit Korkmaz, Sohn türkischer Einwanderer. Ein wieselflinker Tempodribbler. Sein Spezialgebiet: Haken, Übersteiger. Die Menge johlte: „Ü-Ü-Ü-Ümit“. Fans gierten nach Spielern dieser Art. Das österreichische Nationalteam war damals kein Straßenfeger. Es gab wenige Talente, fast keine Kicker in Topligen. Doch dann keimte Hoffnung auf im Land. Einwandererkinder drängten in die Nationalmannschaft und belebten das Spiel. Darunter viele Söhne türkischer Migranten: Veli Kavlak, Yasin Pehlivan, Ekrem Dag, Ramazan Özcan, Ümit Korkmaz, die beinahe gleichzeitig für Österreich aufliefen.


Über 300.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben aktuell im Land – viele davon sind extrem fußballbegeistert. Im ÖFB dachte man: der Trend türkischstämmiger Top-Kicker werde sich fortsetzen und gar verstärken. Doch das Gegenteil trat ein: Im Nationalteam spielt derzeit kein einziger. Auch bei den Bundesliga-Topteams sieht es nicht besser aus. Warum schaffen es nur noch so wenige Türkischstämmige ganz nach oben?

Ümit Korkmaz, der Fan-Liebling von 2008, ist heute 38 Jahre alt und in Fußballerpension. Er schaffte es in die Deutsche Bundesliga, war Meister mit Rapid Wien – und einer der ersten türkischstämmigen Stars im Land. Korkmaz müsste es wissen: Wie gelingt einem Einwandererkind der Durchbruch? Er sei durch Zufall entdeckt worden, erzählt er im WZ-Gespräch. Von einem Müllmann. Dem fiel Ümit im Fußballkäfig auf, er brachte ihn zu einem kleinen Verein – wo Rapid auf ihn aufmerksam wurde. Er habe bloß aus Freude Fußball gespielt, ohne Druck der Eltern – und dann etwas Glück gehabt, als der Müllwagen am Fußballkäfig hielt. Seine Mutter war Putzfrau, der Vater Lagerarbeiter; zu Hause seien sie „in Tränen ausgebrochen, weil ich in einem Monat so viel verdient habe wie meine Eltern in einem Jahr“.

Erfolgsgeschichten wie jene von Korkmaz haben aber auch etwas verändert. Die WZ hat sich in der Branche umgehört, mit Akademie-Leitern, Nachwuchstrainern und türkischstämmigen Fußball-Insidern gesprochen. Der Tenor: Viele Einwanderer aus der Türkei sähen nun im Fußballgeschäft die große Chance auf ein besseres Leben – und den Millionen-Jackpot. Schon früh stünden ihre Kinder deshalb „extrem unter Druck“, wird erzählt. Eltern würden dabei oftmals davon ausgehen „den nächsten Weltstar zu Hause zu haben“, erzählt der Nachwuchschef eines heimischen Topklubs. Das verursacht Probleme. Trainer berichten von Vätern, die ihnen im Kabinengang auflauern, „weil der Sohn ausgewechselt worden ist, und fast eine Schlägerei anzetteln“.........

© Wiener Zeitung


Get it on Google Play