Anna ist 39 Jahre alt, angestellt, hat zwei kleine Kinder. Beim Einkaufen im Supermarkt steht sie vor den Regalen und weiß oft nicht, ob sie an die Geldbörse oder an die Umwelt denken soll. Bringt es wirklich etwas, wenn ich die Bio-Butter kaufe? Sie weiß es nicht und entscheidet mal so, mal so. Nachrichten schaut sie kaum. Die ewigen Streitereien in der Politik gehen ihr auf die Nerven. Und über all dem schwebt etwas, das ihr große Angst macht: die Klimakrise.

Anna steht für die Mitte der Gesellschaft. Sie ist verunsichert, hat keine Antworten auf die großen Klima-Fragen und findet keine Partei, die ihr klare Antworten liefert. Bei Klima-Debatten hält sie sich raus. Zu festgefahren sind ihr die Einstellungen. Doch ohne die Mitte der Gesellschaft kann wenig bewegt werden. „Ohne die Mitte ist die Klimakrise nicht bewältigbar“, sagt Christian Kdolsky von der Bürgerinitiative „Zukunftsallianz“, die gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Integral die Bevölkerung auf diese Fragen abgeklopft hat.

Die Mitte der Gesellschaft hat sich sehr lang sehr homogen präsentiert: Mittelschicht, mittleres bis hohes Einkommen, soziale Werte und Tugenden. Doch diese einheitliche Mitte gibt es laut Bertram Barth, Geschäftsführer von Integral, nicht mehr. Das Marktforschungsinstitut hat eine Gruppe definiert, die sich „adaptiv-pragmatisch“ nennt. Sie sind mit 14 Prozent die größte Gruppe der gesellschaftlichen Mitte. Diese Gruppe hat die „alte“ Mitte überholt, die „nostalgisch-bürgerlichen“, die jetzt bei zwölf Prozent liegen. Als dritte Gruppe tummeln sich die „postmateriellen“ mit elf Prozent in der Mitte.

Die aktuelle Mitte "Adaptiv-Pragmatisch": Der flexible und nutzenorientierte Mainstream

Die ehemalige Mitte: "Nostalgisch-Bürgerlich": Die systemkritische ehemalige Mitte

Postmaterielle: Die weltoffenen Kritiker:innen von Gesellschaft und Zeitgeist

Das Sinus-Milieu-Modell bezeichnet die neue, moderne Mitte als „adaptiv-pragmatisch“; sprich (Situations-)angepasst, praktisch denkend. „Die neue Mitte ist bereit, etwas zu tun, weiß aber nicht genau wie“, erklärt Marktforscher Barth im WZ-Interview. Sie wisse nur, dass sie die Augen nicht mehr verschließen kann. Sie hält laut Barth wenig von Ideologien und verlangt nach konkreten Angeboten. Sie sei pragmatisch im Ansatz und frage „was habe ich davon?“

„Diese Menschen haben sich ihren Wohlstand erarbeitet und haben Angst, diesen wieder zu verlieren. Man kann sie mit Klimaschutzmaßnahmen erreichen, wenn sie Nutzen und Sinnhaftigkeit erkennen.“ So schätzen sie zum Beispiel den Reparaturbonus. Auch die Systematik der CO2-Besteuerung mit dem Rückfluss des Klimabonus würden sie gut akzeptieren, „leider verstehen viele das Prinzip aber nur unzureichend“.

-> Die 10 Sinus-Milieus der Gesellschaft

Das Problem sei, dass die Politik die neue Mitte nicht erreicht, sagt Barth. Die FPÖ bediene nur das nostalgisch-bürgerliche Klientel, geprägt von Klimawandel-Leugner:innen. „Diese Menschen haben das System getragen und sind heute empfänglich für Rechtspopulisten. Sie wollen zurück in eine Zeit, in der angeblich die Welt noch in Ordnung war, in der es nur zwei Geschlechter gab, die Grenzen geschlossen waren und niemand von der Klimakrise redete.“ Die ÖVP schaue neidisch auf die Freiheitlichen und hechle hinterher. Die Grünen würden in erster Linie die Postmateriellen bedienen, moralisch und gut situiert. „Sie kommen aus diesem Cluster nicht heraus“, sagt Barth. Und die SPÖ sei orientierungslos und matche sich mit den Grünen.

„Aktuell redet die Politik kaum mit der modernen Mitte, ihre Bedürfnisse und Interessen werden nicht angesprochen.“ Wenn man sie ansprechen will, muss man laut Barth auch ihre Sprache sprechen und ihre Erwartungen an Bildgestaltung und Veranschaulichung treffen. Es müsste klar vermittelt werden, ja, es gehe auch um Verzicht, allerdings bringe dieser auch etwas. „Diese Gruppe hat ein hohes Sicherheitsbedürfnis und wünscht sich eine sichere Zukunft für alle.“

Klare Klimaschutz-Angebote seitens der Politik fehlen demnach. Auch die Erklärung, warum man überhaupt das Klima schützen sollte und die Einigung darüber, mit welchen gemeinsamen Maßnahmen. Eine aktuelle Umfrage von Kontext, Institut für Klimafragen, bestätigt diesen Gap. In der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen sagen 81,8 Prozent, dass, obwohl viel darüber gesprochen wird, zu wenige Maßnahmen gegen die Klimakrise gesetzt werden. 71,7 Prozent wünschen sich, dass jemand ihnen die Klimakrise neutral erklärt. 76,1 Prozent in dieser Gruppe sagen sogar, dass sie das Gefühl haben, dass manche Lösungen aktiv verhindert werden. Gleichzeitig fühlen sich 73,6 Prozent von der Klimakrise bedroht.

81,8 Prozent der 20- bis 29-Jährigen finden, dass zu wenige Klimaschutz-Maßnahmen gesetzt werden

71,7 Prozent wünschen sich eine neutrale Erklärung der Klimakrise

76,1 Prozent haben das Gefühl, dass Lösungen verhindert werden

Eine Bedrohung und keine klaren politischen Konzepte dagegen bringt Verunsicherung und schafft Raum für andere Interessen. „In der Öffentlichkeit ist die derzeitige Debatte rund um den Klimawandel sehr stark von der FPÖ und dem nostalgisch-bürgerlichen Milieu geprägt“, erklärt der Marktforscher. „Diese Gruppe fühlt sich von der sogenannten Elite vergessen und verraten. Sie fühlt sich nicht ernst genommen, leugnet den Klimawandel und spürt, dass die Welt komplizierter geworden ist.“

Und wer glaubt, dass all die Jungen für das Klima auf die Straße gehen würden, der täuscht sich laut Barth. „Ja die FFF-Bewegung ist laut und man sieht in der Öffentlichkeit ein aktives jüngeres Milieu, aber viele junge Menschen sind völlig desinteressiert am Thema Nachhaltigkeit“, sagt er. Im Durchschnitt sind etwa die unter 30-Jährigen nicht stärker an Nachhaltigkeit interessiert als die Gesamtbevölkerung. Dennoch dominiert bei allen Altersgruppen eine diffuse Angst vor dem möglichen Klima-Kollaps.

Eine große Bedrohung, deren Bewältigung keine Mehrheiten findet? Auch wenn sie derzeit in der Debatte übersehen wird, die neue Mitte der Gesellschaft ist wichtig. „Sie sind Brückenbauer in andere Wertebereiche. Mehrheiten für politische und gesellschaftliche Entwicklungen sind gegen dieses Milieu nicht möglich“, sagt Barth. Brückenbauer können prinzipiell mit jedem, sind bereit, etwas zu tun.

Anna ist auch bereit, etwas zu tun. Doch es fehlt ihr an Klarheit und konkreten Maßnahmen, die nicht nur ihr, sondern auch der Umwelt helfen würden.

QOSHE - Klimaschutz: Die Mitte der Gesellschaft muss bewegt werden - Ina Weber
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Klimaschutz: Die Mitte der Gesellschaft muss bewegt werden

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13.03.2024

Anna ist 39 Jahre alt, angestellt, hat zwei kleine Kinder. Beim Einkaufen im Supermarkt steht sie vor den Regalen und weiß oft nicht, ob sie an die Geldbörse oder an die Umwelt denken soll. Bringt es wirklich etwas, wenn ich die Bio-Butter kaufe? Sie weiß es nicht und entscheidet mal so, mal so. Nachrichten schaut sie kaum. Die ewigen Streitereien in der Politik gehen ihr auf die Nerven. Und über all dem schwebt etwas, das ihr große Angst macht: die Klimakrise.

Anna steht für die Mitte der Gesellschaft. Sie ist verunsichert, hat keine Antworten auf die großen Klima-Fragen und findet keine Partei, die ihr klare Antworten liefert. Bei Klima-Debatten hält sie sich raus. Zu festgefahren sind ihr die Einstellungen. Doch ohne die Mitte der Gesellschaft kann wenig bewegt werden. „Ohne die Mitte ist die Klimakrise nicht bewältigbar“, sagt Christian Kdolsky von der Bürgerinitiative „Zukunftsallianz“, die gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Integral die Bevölkerung auf diese Fragen abgeklopft hat.

Die Mitte der Gesellschaft hat sich sehr lang sehr homogen präsentiert: Mittelschicht, mittleres bis hohes Einkommen, soziale Werte und Tugenden. Doch diese einheitliche Mitte gibt es laut Bertram Barth, Geschäftsführer von Integral, nicht mehr. Das Marktforschungsinstitut hat eine Gruppe definiert, die sich „adaptiv-pragmatisch“ nennt. Sie sind mit 14 Prozent die größte Gruppe der gesellschaftlichen Mitte. Diese Gruppe hat die „alte“ Mitte überholt, die „nostalgisch-bürgerlichen“, die jetzt bei zwölf Prozent liegen. Als dritte Gruppe tummeln sich die „postmateriellen“ mit elf Prozent in der........

© Wiener Zeitung


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