Es gibt wenige Jobs in der Republik, die so oft mit falschen Zuschreibungen versehen werden wie der von Margit Wachberger – und das nicht nur von Laien. Sie ist seit November 2023 die erste Generalprokuratorin Österreichs, vor ihr machten 26 Männer den Job. Wie ihre Vorgänger wird auch Wachberger oft als „Chefankläger:in der Republik“ bezeichnet. „Das sind wir nicht“, sagt Wachberger und auch mit der Finanzprokuratur, die als „Anwältin der Republik“ gilt, hat ihre Behörde nichts zu tun, „auch wenn das gern verwechselt wird“.

Die Generalprokuratur ist zwar die höchste Staatsanwaltschaft im Justizgefüge, agiert aber außerhalb der Strafverfolgung. „Wir sind keine Anklage- oder Oberbehörde, wir können weder über Anklage, Einstellung noch Haft in Strafverfahren entscheiden“, erklärt Wachberger. „Rechtswahrerin“ ist der wohl passendste Begriff für die Behörde, und das bedeutet eine hohe Verantwortung.

Ihren Sitz hat die Generalprokuratur im Justizpalast am Wiener Schmerlingplatz, im selben Gebäude, in dem auch der Oberste Gerichtshof (OGH) angesiedelt ist. Mit diesem sind die derzeit 23 Mitarbeiter:innen der Generalprokuratur eng verbunden. Denn so wie bei jedem Gericht, das für Strafsachen zuständig ist, eine Staatsanwaltschaft eingerichtet ist, hat auch der OGH mit der Generalprokuratur eine ihm zugeordnete staatsanwaltschaftliche Behörde.

Wachberger und ihre Kolleg:innen befassen sich also mit allen Fällen, die im Instanzenzug vor dem OGH landen. Das sind eine ganze Menge: etwa alle Rechtsmittelverfahren, die sich auf Urteile von Geschworenen- oder Schöffengerichten beziehen – und damit nicht selten Großverfahren, wie zum Beispiel die Causa Buwog. Oder, gerade erst, der Prozess gegen Unterstützer des Wiener Amokläufers vom 2. November 2020. Da empfahl die Generalprokuratur, der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten stattzugeben, der OGH folgte dieser Rechtsansicht, das Verfahren musste teilweise wiederholt werden. Nicht zum OGH geht die Causa Kurz – doch dazu später.

Die Stellungnahmen der Generalprokuratur heißen im Fachjargon „Croquis“, sie sind eine „Entscheidungsempfehlung“, sagt Wachberger, und sehr zeitintensiv, da die zuständigen Jurist:innen sämtliche relevanten Verfahrensunterlagen durcharbeiten müssen. Das sind oft tausende Aktenseiten. In der überwiegenden Zahl der Fälle folgt der OGH den Empfehlungen der Justizexpert:innen.

Doch nicht nur die großen und bekannten Fälle landen oft in den Büros im Justizpalast: Wenn jemand der Ansicht ist, dass es während eines Strafverfahrens eine Rechtsverletzung gegeben hat, kann er sich an die Generalprokuratur wenden. Für solche Fälle gibt es die sogenannte Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, die beim OGH eingebracht wird. Das kann nur die Generalprokuratur. „Das ist etwas Besonderes und das gibt es nicht in jedem europäischen Staat“, erklärt Wachberger. Rund 400 bis 500 solcher Beschwerden langen jährlich bei ihrer Behörde ein, in etwa 100 Fällen gehen diese weiter an den OGH.

Genau damit erfüllt die Generalprokuratorin ihre Aufgabe als „Hüterin des Rechts“. Denn so wird einerseits Gerechtigkeit im Sinn von Rechtsrichtigkeit im Einzelfall sichergestellt. Andererseits befasst Wachberger den OGH bisweilen auch mit grundsätzlichen Rechtsfragen, um „richtungsweisende OGH-Urteile“ anzuregen: „Das dient der Rechtsklarheit und -einheitlichkeit“, und damit nimmt die Generalprokuratur „eine gewisse Leitfunktion im staatsanwaltschaftlichen Gefüge“ ein.

In einem Bereich hat sie deshalb auch die Entscheidungsmacht über Staatsanwaltschaften: bei Zuständigkeitskonflikten, die über den Sprengel einer Oberstaatsanwaltschaft hinausgehen, wo es also um die Frage geht, welche Staatsanwaltschaft für ein Verfahren zuständig ist. „Für diese Frage muss zunächst ein Anfangsverdacht geprüft und rechtlich richtig eingeordnet werden. Diese richtige Einordnung findet vielfach durch die Generalprokuratur statt“, sagt Wachberger.

Derzeit tauchen vor allem im Bereich Cybercrime immer wieder „klärungsbedürftige Sachverhalte“ auf. Konkretes Beispiel: WhatsApp-Betrug, wo sich Täter:innen als Sohn oder Tochter einer Person ausgeben, eine vermeintlich neue Nummer schicken und dabei eine Gefährdung vorgeben, die durch Geldüberweisung gelöst werden kann. Hier hat sich die Generalprokuratur für eine neue Einordnung als qualifizierten Betrug ausgesprochen.

Als Behördenleiterin hat Wachberger noch eine besondere Rolle: Sie ist Vorsitzende des 2016 eingerichteten Weisungsrats, der den/die Justizminister:in bei Entscheidungen in clamorösen Fällen, also solchen, die von großem öffentlichem Interesse sind, berät. Dass Wachbergers Posten im Vorjahr nach der Pensionierung ihres Vorgängers Franz Plöchl mehr als zwei Monate vakant geblieben war, hat wohl weniger mit den Aufgaben in der Generalprokuratur als der heiklen Rolle im Weisungsrat zu tun. Dieser wurde gegründet, um dem Anschein entgegenzuwirken, der/die Minister:in könnte Entscheidungen der Justiz nach eigenem Gutdünken, etwa aus parteitaktischer Sicht, beeinflussen. Und so war auch die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingebrachte Anklage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen Falschaussage einer Prüfung durch den dreiköpfigen Weisungsrat unterzogen worden. Gegen die Pläne der WKStA gab es damals „keine grundsätzlichen Einwände“. Den Schuldspruch bekämpft Kurz, noch einmal kommt der Fall nicht zur Generalprokuratur: Zuständig ist im Instanzenzug das Oberlandesgericht Wien, nicht der OGH.

Zu tun hatte die Generalprokuratur aber nicht nur mit dem Ermittlungsverfahren gegen Kurz, sondern auch mit Kurz‘ Richter Michael Radasztics. Nämlich als über dessen - nach Prozessende bekanntgewordene - Disziplinarstrafe aus seiner Tätigkeit als Staatsanwalt entschieden wurde. Denn auch in allen justiziellen Disziplinarverfahren nimmt die Generalprokuratur Stellung.

Politischen Druck habe sie, sagt Wachberger, seit ihrer Bestellung „in keinster Weise erlebt“, auch nicht rund um Entscheidungen des Weisungsrats. Obwohl dessen Tätigkeit als durchaus brisant wahrgenommen wird, sieht es Wachberger, die sowohl als Richterin wie in Staatsanwaltschaften tätig war und seit 16 Jahren in der Generalprokuratur ist, als Routinearbeit: „Der Weisungsrat ist ein unabhängiges Expertengremium, gut etabliert und kann seiner Aufgabe sehr gut nachkommen. Es ist ein ganz sachlicher und transparenter Vorgang. Wir werden vom Justizministerium befasst, äußern uns zu einem geplanten Vorgehen kritisch oder zustimmend, dem oder der Minister:in obliegt dann die Entscheidung über die allfällige Weisung oder Genehmigung des Vorhabens der Staatsanwaltschaft.“ Veröffentlicht werden die Entscheidungen des Weisungsrats freilich nicht, Transparenz sieht Wachberger dadurch gewährleistet, dass Weisungen schriftlich erteilt werden. Sie werden im Weisungsbericht, der an Nationalrat und Bundesrat geht, protokolliert und auch im entsprechenden Strafakt festgehalten.

Was hat nun der/die Bürger:in von der Generalprokuratur? Viel, sagt Wachberger: „Die Generalprokuratur nimmt wesentliche Aufgaben im Rechtsschutzsystem der Justiz wahr.“ Wer also in ein Strafverfahren gerät, der soll eine Garantie haben, dass in diesem Verfahren Recht korrekt angewandt wird. Beim Verdacht, dass dies nicht der Fall ist, kann man sich eben an die Generalprokuratur wenden. Wer sein Urteil freilich als unfair empfindet, wie etwa Sebastian Kurz, der ist noch kein Fall für Wachberger und die Generalprokuratur.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.

QOSHE - Was macht eigentlich die Generalprokuratorin?  - Jasmin Bürger
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Was macht eigentlich die Generalprokuratorin? 

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08.03.2024

Es gibt wenige Jobs in der Republik, die so oft mit falschen Zuschreibungen versehen werden wie der von Margit Wachberger – und das nicht nur von Laien. Sie ist seit November 2023 die erste Generalprokuratorin Österreichs, vor ihr machten 26 Männer den Job. Wie ihre Vorgänger wird auch Wachberger oft als „Chefankläger:in der Republik“ bezeichnet. „Das sind wir nicht“, sagt Wachberger und auch mit der Finanzprokuratur, die als „Anwältin der Republik“ gilt, hat ihre Behörde nichts zu tun, „auch wenn das gern verwechselt wird“.

Die Generalprokuratur ist zwar die höchste Staatsanwaltschaft im Justizgefüge, agiert aber außerhalb der Strafverfolgung. „Wir sind keine Anklage- oder Oberbehörde, wir können weder über Anklage, Einstellung noch Haft in Strafverfahren entscheiden“, erklärt Wachberger. „Rechtswahrerin“ ist der wohl passendste Begriff für die Behörde, und das bedeutet eine hohe Verantwortung.

Ihren Sitz hat die Generalprokuratur im Justizpalast am Wiener Schmerlingplatz, im selben Gebäude, in dem auch der Oberste Gerichtshof (OGH) angesiedelt ist. Mit diesem sind die derzeit 23 Mitarbeiter:innen der Generalprokuratur eng verbunden. Denn so wie bei jedem Gericht, das für Strafsachen zuständig ist, eine Staatsanwaltschaft eingerichtet ist, hat auch der OGH mit der Generalprokuratur eine ihm zugeordnete staatsanwaltschaftliche Behörde.

Wachberger und ihre Kolleg:innen befassen sich also mit allen Fällen, die im Instanzenzug vor dem OGH landen. Das sind eine ganze Menge: etwa alle Rechtsmittelverfahren, die sich auf Urteile von Geschworenen- oder Schöffengerichten beziehen – und damit nicht selten Großverfahren, wie zum Beispiel die Causa Buwog. Oder, gerade erst, der Prozess gegen Unterstützer des Wiener Amokläufers vom 2. November 2020. Da empfahl die Generalprokuratur, der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten stattzugeben, der OGH folgte dieser Rechtsansicht, das Verfahren........

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