Tote Hose auf dem Land. Tristesse zwischen den Ortstafeln. Kein Geschäft, kein Café, kein Garnichts. So sieht es halt aus, wenn ein Dorf stirbt. Wenn man Glück hat, gibt’s beim nächsten Kreisverkehr auf der Landstraße ein Konglomerat an Filialen von großen Supermarkt-Ketten. Und vielleicht irgendwo eine Tankstelle als letzten verbliebenen sozialen Treffpunkt.

Ist das der unaufhaltsame Lauf der Dinge? Nein. Das zeigt ein kleines Dorf in Vorarlberg. Das Geheimrezept der Gemeinde Langenegg: eigenes Geld, die Langenegger Talente.

Denn das Dorf ist eine der wenigen Gemeinden in Österreich, die über eine Regionalwährung verfügen. Die sogenannten Langenegger Talente sehen für das Euro-gewohnte Auge wie Monopoly-Geld aus. 1er-, 5er-, 10er-, 20er- und 50er-Scheine gibt es. Sie sind kürzer als Euroscheine, aber sie sind ebenfalls auf Sicherheitspapier gedruckt, und jeder Schein hat eine andere Farbe. So gibt es keine Probleme bei der Kassa, erzählt die örtliche Supermarkt-Leiterin Monika. Sie hatte am Anfang Bedenken wegen der Währung. Aber inzwischen ist sie absolut davon überzeugt. Es mache bei der Abrechnung keinen Unterschied. Geld ist Geld.

Offiziell ist eine Regionalwährung keine Konkurrenz zum Euro, sondern nur eine Komplementärwährung. Das bedeutet auch, dass sie klein bleiben muss. Der Kreis der Benutzer:innen und die lokale Verbreitung müssen überschaubar bleiben. Wien zum Beispiel wäre viel zu groß.

Langenegg will aber auch nicht Stadt sein, sondern Dorf bleiben. In ruralen Kreisen ist die Gemeinde im entlegenen Bregenzerwald weltberühmt. Aus Süddeutschland, aus der Schweiz und sogar aus Japan kommen Delegationen von Bürgermeister:innen, um sich anzusehen, was die 1.100 Menschen in Langenegg besser machen als andere Dörfer.

Für Langenegg kam der Moment der Wasserscheide 2008. Da war absehbar, dass der Dorfgreissler in Pension geht. Nachfolger:in gab es keine/n. Dorfgreissler, Gasthaus, Café, Sennerei: Sie halten die Dorfgemeinschaft am Leben. Ohne die sozialen Treffpunkte stirbt ein Dorf. Der Tod von Langenegg schien unaufhaltsam. Viele Langenegger:innen pendeln zum Arbeiten ohnehin raus aus dem Ort und kommen an zahlreichen Supermärkten vorbei.

Aber Langenegg stemmte sich dagegen. In einem gemeinsamen Kraftakt entschieden sich die Bürger:innen, die Geschäfte weiterzuführen. Aber um solchen kleinen Betrieben das Überleben zu sichern, brauchte es eine Garantie: eine eigene Dorfwährung. Die Langenegger Talente sind ein „Anreiz”, sagt der Unternehmensberater Gernot Jochum-Müller zur WZ, der die Gemeinde damals bei der Umstellung betreut hat und dessen Genossenschaft Allmenda auch die Technik bereitstellt.

Über ein Abo-System tauschen seit 2009 rund 15 bis 20 Prozent der 450 Haushalte in Langenegg ihr Geld in die lokale Währung um. Das sind zumeist Beträge zwischen 100 und 500 Euro, monatlich werden so 11.000 Euro in die bunten Scheine gesteckt.

Die Gemeinde vergibt ihre Förderungen nur in der Dorfwährung. Fußballverein, Blasmusik und Feuerwehr können mit dem Geld nur in Langenegg bezahlen – damit unterstützen sie die lokale Wirtschaft.

„Die Gemeinde kurbelt damit Kooperationen und einen Zusammenhalt an, der so sonst nicht stattfinden würde“, sagt Jochum-Müller. Volkswirtschaftlichen Berechnungen zufolge werden auf diese Art 680.000 Euro im Jahr in dieser kleinen Gemeinde gebunden.

Um eine zusätzliche Motivation zum Wechseln in die lokale Währung zu schaffen, vergibt die Gemeinde einen Rabatt von drei Prozent: Für 100 Talente zahlt man 97 Euro.

Subventionen sind normal. In Vorarlberg sind 60 Prozent der kleinen Nahversorger in den Gemeinden in irgendeiner Form gestützt. Aber die normale Ausschüttung einer Förderung bleibt eine Einbahnstraße. Das Dorfgeld ist hingegen für die Zirkulation gedacht. Das macht den großen Unterschied zu Gutscheinen oder Stadtkarten aus: Auch hier wird Geld oder Währung zwar im Shop oder in der Stadt gebunden. Aber nach einem einmaligen Umsatz ist der Effekt wieder verschwunden.

„Es braucht gerade am Anfang eine große Portion Mut und Überzeugungsarbeit. Weil man alle beteiligten Betriebe gewinnen muss“, erzählt Jochum-Müller. „Der Betrieb muss auch einsehen, dass nicht nur das eigene Wohlergehen wichtig ist. Das System funktioniert nur, wenn es allen gut geht.” Jochum-Müller und seine Genossenschaft haben Erfahrung mit Regionalwährungen. Sie haben auch den V-Taler in Vorarlberg und den oberösterreichischen Ennstaler eingeführt. Ehrenamtlich, denn sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt ein Stück gerechter zu machen.

In Langenegg funktioniert das Anreizsystem. Das Dorf verfügt inzwischen über 21 Vereine und etwa acht weitere Initiativen, erzählt Langeneggs Bürgermeister Thomas Konrad. 40.000 Euro werden in Form von Langenegger Talenten jährlich in die Vereine gesteckt.

Konrad ist, wie der Rest der Gemeindevertretung, parteifrei. Das hat in Langenegg Tradition, macht den Ort aber zu einem Unikum in der Region. Das Parteifreie macht es leichter, sich in der Sache zu einigen, meint Konrad.

Langenegg hat dank der Wiederbelebung eine Strahlkraft entwickelt – der Ort wächst und zieht Menschen an, die ihrerseits wiederum Lust daran haben, die Ärmel hochzukrempeln.

„Vielen Neuzugezogenen muss man den Gemeinschaftsgedanken nicht mehr erklären, weil die ihn von Haus aus suchen“, sagt Konrad, der selbst aus Dornbirn hergezogen ist. „Früher hat man sich aufs Land verzogen, um auch anonym zu sein. Aber heute will man wo sein, wo Gemeinschaft ist, wo Kinder gut aufwachsen können.“

Die Herausforderungen sind nun, mit der Attraktivität zurande zu kommen. Zwischen 50 und 100 Menschen kommen pro Jahr in Langenegg dazu. Mit dem Raum muss sorgsam umgegangen werden. Feriensiedlungen existieren nicht, obwohl der Bregenzerwald eine Tourismus-Region ist. Die, die hier wohnen, engagieren sich, die Zukunft fest im Blick.

Dörfer sterben. Langenegg lebt.

Viele versuchen, in einer globalisierten Welt Geld und Produktion vor Ort zu halten. Den wenigsten gelingt es längerfristig. Das Modell Regionalgeld kommt oft aus der Anfangsphase nicht heraus, lieber wird über Förderungen oder Gutscheine operiert. Ein Dorfgeld, das seit knapp 15 Jahren funktioniert, ist selten.

Dass die kleine Gemeinde Langenegg besonders ehrgeizig ist, hat sie vor 100 Jahren bereits gezeigt. Die Genese Langeneggs klingt wie eine Geschichte aus einem Asterix-Band: Früher gab es nämlich Ober- und Unterlangenegg. Ein wohlhabender Bauer hatte seinen Bauernhof genau an der Grenze der beiden Dörfer und musste Abgaben an beide Dörfer zahlen. In seinem Testament erklärte der kinderlose Landwirt: Er würde Hab und Gut der Gemeinde vererben, wenn sie sich zusammenschlössen und auch soziale Aspekte berücksichtigen würden. Binnen eines Jahres schafften die Dörfer den Zusammenschluss.

Die Langenegger Talente werden auf Sicherheitspapier alle drei Jahre neu aufgelegt und repräsentieren auf den Bildern immer ein Thema, das für das Dorf wichtig ist. Derzeit sind es Wahrzeichen des Ortes. Zuvor wurden Vereinssujets abgebildet.

Über ein Abo-System können Euros gegen Talente getauscht werden. Das macht die Talente zu einer Euro-gedeckten Regionalwährung.

Die zweite große Komplementärwährung in Vorarlberg, der V-Taler, ist eine Leistungs-gedeckte Währung (Arbeitseinheit wird mit V-Taler gegengerechnet).

Weitere aktive Euro-gedeckte Regionalwährungen (Umtausch in Euro) in Österreich:

Ennstaler

Styrrion

Neulengbacher 10er

Gernot Jochum-Müller, Geschäftsführer der Allmenda Genossenschaft

Thomas Konrad, Bürgermeister von Langenegg

QOSHE - Wie ein Dorfgeld eine Gemeinde vor dem Sterben bewahrt hat - Konstanze Walther
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Wie ein Dorfgeld eine Gemeinde vor dem Sterben bewahrt hat

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05.05.2024

Tote Hose auf dem Land. Tristesse zwischen den Ortstafeln. Kein Geschäft, kein Café, kein Garnichts. So sieht es halt aus, wenn ein Dorf stirbt. Wenn man Glück hat, gibt’s beim nächsten Kreisverkehr auf der Landstraße ein Konglomerat an Filialen von großen Supermarkt-Ketten. Und vielleicht irgendwo eine Tankstelle als letzten verbliebenen sozialen Treffpunkt.

Ist das der unaufhaltsame Lauf der Dinge? Nein. Das zeigt ein kleines Dorf in Vorarlberg. Das Geheimrezept der Gemeinde Langenegg: eigenes Geld, die Langenegger Talente.

Denn das Dorf ist eine der wenigen Gemeinden in Österreich, die über eine Regionalwährung verfügen. Die sogenannten Langenegger Talente sehen für das Euro-gewohnte Auge wie Monopoly-Geld aus. 1er-, 5er-, 10er-, 20er- und 50er-Scheine gibt es. Sie sind kürzer als Euroscheine, aber sie sind ebenfalls auf Sicherheitspapier gedruckt, und jeder Schein hat eine andere Farbe. So gibt es keine Probleme bei der Kassa, erzählt die örtliche Supermarkt-Leiterin Monika. Sie hatte am Anfang Bedenken wegen der Währung. Aber inzwischen ist sie absolut davon überzeugt. Es mache bei der Abrechnung keinen Unterschied. Geld ist Geld.

Offiziell ist eine Regionalwährung keine Konkurrenz zum Euro, sondern nur eine Komplementärwährung. Das bedeutet auch, dass sie klein bleiben muss. Der Kreis der Benutzer:innen und die lokale Verbreitung müssen überschaubar bleiben. Wien zum Beispiel wäre viel zu groß.

Langenegg will aber auch nicht Stadt sein, sondern Dorf bleiben. In ruralen Kreisen ist die Gemeinde im entlegenen Bregenzerwald weltberühmt. Aus Süddeutschland, aus der Schweiz und sogar aus Japan kommen Delegationen von Bürgermeister:innen, um sich anzusehen, was die 1.100 Menschen in Langenegg besser machen als andere Dörfer.

Für Langenegg kam der Moment der Wasserscheide 2008. Da war absehbar, dass der Dorfgreissler in Pension geht. Nachfolger:in gab es keine/n. Dorfgreissler,........

© Wiener Zeitung


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