Jahrzehntelang war alles gut am Karfreitag für die Evangelischen Kirchen in Österreich. Denn jahrzehntelang war der Karfreitag für sie ein staatlicher Feiertag. Doch vor fünf Jahren wurde er von der damaligen türkis-blauen Bundesregierung zum persönlichen Feiertag herabgestuft, der aus dem Urlaubsanspruch zu konsumieren ist (siehe „Infos & Quellen“). Seither liegen Evangelische Kirche und Politik im Clinch um den Status des Karfreitags.

Dabei ließe sich der Streit ganz einfach lösen, könnte man meinen. Und zwar so, dass man nicht nur der evangelischen Bevölkerung gerecht würde, sondern allen Religionen – und auch den Atheist:innen. Derzeit gibt es im Kirchenjahr zehn Feiertage, die nicht immer auf einen Sonntag fallen: Mariä Empfängnis, Christtag, Stephanitag, Dreikönig, Ostermontag, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen.

Stattdessen könnte sich jede Person in Österreich zehn persönliche Feiertage aussuchen, die sie irgendwann in den 365 (in Schaltjahren 366) Tagen des Jahres verteilt – zusätzlich zum Urlaubskontingent und in jedem Fall vom Arbeitgeber einzuhalten. Katholik:innen könnten sich an ihren Hochfesten freinehmen, Evangelische den Karfreitag endlich als vollwertigen Feiertag definieren, Muslim:innen das Zuckerfest (Fastenbrechen) oder das Opferfest, Atheist:innen wiederum sich zum Beispiel in den Sommerferien die Kinderbetreuung erleichtern.

Das würde allerdings neue Herausforderungen schaffen: Zum Beispiel müsste es dann auch persönliche Feiertage – und damit zehn individuelle schulfreie Tage – für alle Schüler:innen geben. Das an einer Schule unter einen Hut zu bekommen, wäre wohl kompliziert. Und eine schulautonome Gesamtlösung widerspräche wiederum der Grundidee. Was, wenn ein persönlicher Feiertag auf bestehende Ferien fiele? Würde der oder die Betreffende dann um einen schulfreien Tag umfallen?

Zumindest auf die Wirtschaft hätte eine individuelle Regelung vermutlich keine negativen Auswirkungen, meint der Wifo-Ökonom Stefan Schiman-Vukan. Er könnte sich sogar vorstellen, dass die Produktivität geringfügig steigen würde, „weil gewisse Unterbrechungen von Produktionsprozessen und Geschäftsschließtage wegfielen“. Allerdings wären die Effekte vermutlich gering und bei normalen Konjunkturschwankungen vermutlich nur schwer wahrnehmbar. Vor allem, weil zum Beispiel trotzdem zwischen Weihnachten und Dreikönig viele Arbeitnehmer:innen Urlaub nehmen würden.

Volkswirtschaftlich macht es laut Schiman-Vukan keinen Unterschied, ob jemand wegen eines Feier- oder eines Urlaubstages nicht arbeitet. „Was schon einen Unterschied machen kann, ist, dass durch allgemeine Feiertage mehr stillsteht, als wenn sich die Nicht-Arbeit zeitlich und personell besser verteilt.“ Allerdings würden mehr individuelle freie Tage den innerbetrieblichen Koordinationsaufwand erhöhen.

Vielleicht auch deshalb findet man in der Wirtschaftskammer die bestehende Regelung gar nicht so schlecht. Abgesehen davon, dass man sich „an Gedankenspielen nicht beteiligen“ möchte, solang auf politischer Ebene „keinerlei Absicht, Anzeichen oder konkrete Vorschläge für eine Änderung erkennbar sind“, heißt es auf Nachfrage der WZ: „Grundsätzlich erleichtern Feiertage, die für alle gelten, etwa berufstätigen Eltern und ihren schulpflichtigen Kindern die gemeinsame Freizeitgestaltung. Sie erleichtern auch Betriebsabläufe, etwa einen Betriebsurlaub während der Weihnachtsfeiertage.“

Der ÖGB als Arbeitnehmer:innenvertretung wollte sich nicht zu diesem Gedankenspiel äußern.

Wenig überraschend fällt die Antwort der Katholischen Kirche aus: „Arbeitsfreie Feiertage haben wie die Sonntage im Allgemeinen einen hohen religiösen, sozialen und kulturellen Wert für die Gesellschaft und jeden einzelnen Menschen in ihr“, erklärt Peter Schipka, Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz. „Eine Umwandlung von allgemeinen Feiertagen in persönliche Feiertage würde einen Verlust dieser für das Zusammenleben wichtigen gemeinsamen freien Zeit bedeuten und käme daher einem Etikettenschwindel gleich.“

Die Katholische Kirche hält daher an den christlichen Feiertagen fest, die laut Schipka nicht nur allen Menschen zugutekommen, sondern auch „größtenteils völkerrechtlich abgesichert sind“. Er bezeichnet sie als „ein Geschenk des Himmels“, das „den Zusammenhalt in Familien, Beziehungen, Gemeinschaften und in der ganzen Gesellschaft“ stärke. Insbesondere die Aufweichung von Mariä Empfängnis am 8. Dezember zum vorweihnachtlichen „Einkaufsfeiertag“ ist der Kirche seit jeher ein Dorn im Auge. In diesem Zusammenhang betont die Bischofskonferenz, wie wichtig es sei, Sonntage und Feiertage arbeitsfrei zu halten.

Der arbeitsfreie Sonntag ist sogar für die Islamische Gesellschaft in Österreich (IGGÖ) unantastbar, auch wenn dieser Tag im Islam kaum eine Rolle spielt. Aber die „Sonntagskultur“ teilen und genießen auch Muslim:innen, meint IGGÖ-Sprecherin Valerie Mussa, und spricht von einer „Pause von der Geschäftigkeit des Alltags“, die „ein gemeinsames Wir-Gefühl“ fördere. Gemeinsame Feiertage seien für den Zusammenhalt einer Gesellschaft wichtig, weil sie Bindungen schaffen würden.

Andererseits würde die Einführung neuer gesetzlicher Feiertage aus Sicht der IGGÖ der real existierenden Vielfalt religiöser und kultureller Identitäten in Österreich Rechnung tragen. Und sie könnte dazu beitragen, eine gerechtere und inklusivere Arbeitsumgebung zu schaffen. Schließlich sind es oft Muslim:innen, die die Schichten an den christlichen Feiertagen übernehmen. „Dass Lösungen möglich sind, zeigt sich beispielsweise an der Tatsache, dass für den schulischen Bereich der Dienstag nach Pfingsten nicht mehr frei ist und dafür Herbstferien eingeführt wurden“, ergänzt Mussa.

Für Muslim:innen gibt es schon jetzt eine Sonderregelung: Auch sie können die islamischen Feste als persönliche Feiertage definieren – die aber eben vom bestehenden Urlaubsanspruch abgezogen werden. Islamische Schüler:innen können sich an diesen Tagen freistellen lassen. Beides wird aber offenbar in der Praxis nicht immer gewährt.

Den Wert gemeinsamer Feiertage betonen auch jene, die mit religiösen Festen gar nichts am Hut haben. Wilfried Apfalter, Präsidiumsmitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich (ARG), findet, dass sie „vielleicht durchaus positiv für eine Gesellschaft sind, die sich eh schon um Gemeinsames bemühen muss“. Allerdings würde er sich dafür eine „religiös neutrale staatliche Benennung“ wünschen, da die Feiertags-Wurzeln oft gar nicht im Christentum liegen.

Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

Aber ob damit die Kirchen einverstanden wären? Statt individuell eingeteilter Feiertage würden die Atheist:innen eine Neugestaltung „nach gut überlegten, weltoffenen, religionsneutralen, nichtdiskriminierenden, fairen und einheitlichen Kriterien“ bevorzugen, die für alle gelten sollte. Denn „staatliche Feiertage verleihen auch Bedeutung und sind damit ein symbolisches Kapital, das der Staat derzeit nur Christ:innen gewährt“.

Apfalter führt als Beispiel für einen möglichen neuen Feiertag den „World Atheist Day“ am 23. März an, „der insbesondere vielen Atheist:innen wichtig ist, die in stark theistisch geprägten Familien aufgewachsen sind und deren offenes Zeigen von Atheismus oft zu großen familiären Konflikten führt und im Fall des Islams in über zehn Ländern sogar mit der Todesstrafe bedroht ist“. Zwar würde man nicht „lautstark schreiend auch einen atheistischen staatlichen Feiertag verlangen; sehr wohl allerdings setzen wir uns dafür ein, den rechtlichen Rahmen, der aktuell die einen bevorzugt und die anderen benachteiligt, gründlich zu überdenken.“

Und was sagt die Evangelische Kirche, deren Kampf um den freien Karfreitag der Anlass unseres Gedankenspiels ist? Deren Bischof Michael Chalupka möchte die bestehenden kirchlichen Feiertage für alle behalten, weil sie auch aus seiner Sicht den Alltag und das Jahr strukturieren. Er tritt aber für jeweils einen zusätzlichen Feiertag für alle ein, „um vor allem auch den religiösen Minderheiten in Österreich eine Gelegenheit zu geben, ihre speziellen Feiertage in Gemeinschaft begehen zu können“. Sprich: Evangelische könnten dann den Karfreitag als zusätzlichen Feiertag wählen, Muslim:innen das Opferfest, Jüdinnen und Juden Pessach oder Jom Kippur und so weiter. Wichtig dabei: Der Feiertag dürfte nicht vom Urlaubskontingent abgezogen werden und müsste für alle Betroffenen gelten. „Individuelle Freizeit“, so Bischof Chalupka, „ist nicht dasselbe, als wenn eine ganze Gesellschaft Atem holt, und dadurch auch die Unterbrechung der Arbeit signalisiert wird.“

QOSHE - Sollen wir uns die Feiertage selbst aussuchen? - Mathias Ziegler
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Sollen wir uns die Feiertage selbst aussuchen?

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03.04.2024

Jahrzehntelang war alles gut am Karfreitag für die Evangelischen Kirchen in Österreich. Denn jahrzehntelang war der Karfreitag für sie ein staatlicher Feiertag. Doch vor fünf Jahren wurde er von der damaligen türkis-blauen Bundesregierung zum persönlichen Feiertag herabgestuft, der aus dem Urlaubsanspruch zu konsumieren ist (siehe „Infos & Quellen“). Seither liegen Evangelische Kirche und Politik im Clinch um den Status des Karfreitags.

Dabei ließe sich der Streit ganz einfach lösen, könnte man meinen. Und zwar so, dass man nicht nur der evangelischen Bevölkerung gerecht würde, sondern allen Religionen – und auch den Atheist:innen. Derzeit gibt es im Kirchenjahr zehn Feiertage, die nicht immer auf einen Sonntag fallen: Mariä Empfängnis, Christtag, Stephanitag, Dreikönig, Ostermontag, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen.

Stattdessen könnte sich jede Person in Österreich zehn persönliche Feiertage aussuchen, die sie irgendwann in den 365 (in Schaltjahren 366) Tagen des Jahres verteilt – zusätzlich zum Urlaubskontingent und in jedem Fall vom Arbeitgeber einzuhalten. Katholik:innen könnten sich an ihren Hochfesten freinehmen, Evangelische den Karfreitag endlich als vollwertigen Feiertag definieren, Muslim:innen das Zuckerfest (Fastenbrechen) oder das Opferfest, Atheist:innen wiederum sich zum Beispiel in den Sommerferien die Kinderbetreuung erleichtern.

Das würde allerdings neue Herausforderungen schaffen: Zum Beispiel müsste es dann auch persönliche Feiertage – und damit zehn individuelle schulfreie Tage – für alle Schüler:innen geben. Das an einer Schule unter einen Hut zu bekommen, wäre wohl kompliziert. Und eine schulautonome Gesamtlösung widerspräche wiederum der Grundidee. Was, wenn ein persönlicher Feiertag auf bestehende Ferien fiele? Würde der oder die Betreffende dann um einen schulfreien Tag umfallen?

Zumindest auf die Wirtschaft hätte eine individuelle Regelung vermutlich keine negativen Auswirkungen, meint der Wifo-Ökonom Stefan Schiman-Vukan. Er könnte sich sogar vorstellen, dass die Produktivität geringfügig steigen würde, „weil gewisse Unterbrechungen von Produktionsprozessen und........

© Wiener Zeitung


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