Vorausschickend: Ich liebe Wien, und ich bin auch sehr froh, dass in meiner Stadt ÖVP und FPÖ recht wenig zu melden haben. Über vieles der Wiener SPÖ kann man sich aufregen, vieles machen sie richtig. Manches aber so richtig ganz falsch. Vor ein paar Wochen war es ein kurzes Aufflackern in der Öffentlichkeit – die Stadt Wien präsentierte die Pläne rund ums Westbahngelände. Seit der Hauptbahnhof fertig ist und am Westbahnhof nur noch S-Bahnen, Regionalzüge und die Westbahn fahren, wird das riesige Gelände dahinter, das den 15. Bezirk in zwei Teile teilt, nicht mehr gebraucht.

Wobei, „nicht mehr gebraucht“ ist der falsche Ausdruck – die Stadt braucht diese unverbaute Fläche sogar sehr. Sie ist eine einzigartige Schneise quer durch dicht verbautes Gebiet, die frische Luft aus dem Wienerwald direkt in den sechsten und siebten Bezirk trägt. Noch dazu aus dem Westen – der häufigsten Windrichtung in Wien. Ich wohne direkt an dieser Schneise, und nicht selten merke ich im Sommer, um wie viel kühler es dort als mitten in den engen Gassen der Stadt ist. Ohne diese Schneise wäre es wohl schon jetzt in dem Kessel, der die Innere Stadt ist, noch heißer. Und nachdem wir alle wissen, dass Wien in den kommenden Jahren immer heißer werden wird, sollte eigentlich klar sein: Diese Schneise muss erhalten bleiben.

Das Areal ist von der darüberliegenden Felberstraße durch eine Böschung getrennt – jede:r, der oder die schon mal mit dem Zug am Westbahnhof eingefahren ist, sieht auf den letzten Metern, dass links die Häuser viel weiter oben stehen. Diese Böschung ist zusätzlich ein Naturspektakel, weil dort selten jemand geht und sich noch seltener jemand drum kümmert – die Natur sprießt so vor sich hin, ungebremst. Nicht nur gibt es dort fast 120 Pflanzenarten und fast 80 verschiedene Wildbienenarten, seit kurzer Zeit dürfte sich dort auch ein Fuchsbau befinden. Zumindest ist das eine Beobachtung der vielen Hundehalter:innen, die auf dem nicht asphaltierten Weg oben an der Felberstraße mit ihren Tieren gehen – die Hunde rasten seit ein paar Tagen immer an derselben Stelle aus, werden unruhig, bellen. Eine befreundete Hundehalterin erzählte kürzlich, eines der Jungtiere im jetzt schon recht hohen Gras gesehen zu haben.

Jahrelang geisterten Gerüchte durch die Gegend, dass das 70.000 Quadratmeter große Areal bis auf ein oder zwei Gleise zugebaut werden soll. Und schon klar, eine so riesige ungenutzte Fläche mitten in der Stadt, da haben Stadtplaner:innen wohl schnell die Euro-Zeichen in den Augen. Doch dass sie das nicht so einfach durchkriegen würden, schien klar zu sein. Seit dem Winter 2022 gab es immer wieder kleine Aktionen – einen „Dialogtag mit Stadtspaziergängern“ zum Beispiel. Oder eine „Dialogradtour“. Im Jänner 2024 wurde dann – sehr kurzfristig, wie es schien – der finale Plan für das Areal bei einer Pressekonferenz präsentiert: Park knapp bis zur Schweglerbrücke, danach bis zum Bahnhofsgelände Bebauung.

Ich als Anrainerin bekam bis zu dieser PK davon nicht sehr viel mit. Allerdings: Der Bezirk sendet hin und wieder kleinformatige Bezirksnachrichten aus, die ich zugegebenermaßen nicht immer lese. Was ich jedoch sehr wohl immer lese, sind die Postings der Initiative Westbahnpark, die seit Jahren für eine Entsiegelung des Geländes kämpft. Und die erklärten immer wieder: Na also so richtige Bürgerbeteiligungsprozesse waren das nicht, bitte schön.

Bei der PK wurden wunderschöne Renderings und Bilder gezeigt – das Gelände soll über weite Strecken ein Park werden, aber nicht nur. Rund um den Bahnhof sollen sehr wohl neue Bauten entstehen. Und zwar die Felberstraße entlang – bis weit hinter die Schweglerbrücke. WIE weit, ist allerdings auf keinem der Pläne so richtig ersichtlich, perspektivisch sind sie so gezeichnet, dass man es einfach nicht klar erkennen kann.

Die Böschung soll wegfallen, der Park soll auf Höhe der Felberstraße gestaltet werden. Was im ersten Moment gut klingt, ist im nächsten in meinen Augen aber eine eher doofe Idee : Der Park wird im Grund zum großen Dachgarten, er soll auf Aufbauten über den Gleisen entstehen. Auf Gleisen, die nicht mehr genutzt werden. Damit wird uns allen eine riesige Chance genommen: Nur durch Entsiegelung und echten Bodenkontakt könnte man dort für echte Abkühlung sorgen. Große Bäume werden auf diesem Dachgarten genauso wenig wurzeln können, wie die 120 Pflanzenarten wieder ein Zuhause finden werden.

So weit, so österreichische Lösung. Wir kriegen den Park, die Stadt Wien kriegt Bebauung, und mit dem Kompromiss ist niemand so richtig glücklich, scheint es. Könnte man so abhaken.

Doch dann bekam ich Post. Wohlgemerkt: Nachdem die Pläne final präsentiert wurden. Ein großformatiges, 30-seitiges Heft, in dem in wunderschönen Bildern und Renderings (mal wieder) diese tollen Vorhaben präsentiert wurden. Auf teurem, dickem Papier und im Stadt-Wien-Design lag diese Zeitschrift in jedem Postkastl der Bewohner:innen des Stadtteils.

Was mir als erstes auffiel: Die Texte waren durchgehend in einer Sprache geschrieben, die für die vielen Menschen mit Migrationshintergrund, die dort leben (fast die Hälfte der Bewohner:innen des 15. Bezirks ist nicht in Österreich geboren – das macht den 15. zu dem Bezirk mit dem größten Migrationsanteil), recht schwierig sein könnte. Könnte man mitdenken, muss man nicht, gell? Die Pläne: Schon wieder ist nicht genau ersichtlich, bis wohin die Bebauung gehen soll (und warum es sie an dieser Stelle überhaupt braucht, so nebenbei). In vielen bunten Bildern wird gezeigt, was bisher geschah. Aber: Wie geht es weiter?

Das steht auf der letzten Seite dieses Hefts. Zumindest sagt das die Überschrift. Darunter findet sich dann wieder ein sehr genauer Zeitstrahl seit 2022. Ab dem gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es noch zwei Punkte auf dem Zeitstrahl: „Vertiefende Planungen und Vorarbeiten“ und „Schrittweise Realisierung“. Sonst steht da nichts. Keine weiteren Termine für mögliche Bedenken wegen der Pläne, nix. Aber das ganze wunderschön aufbereitet in vielen bunten Bildern und komplizierten Texten. Anscheinend geht man jetzt davon aus: So, jetzt sind alle Anrainer:innen informiert, jetzt könnt’s euch abregen. Dass vielleicht eine Einladung zur Bürger:innenbefragung in genauso einem auffälligen Format hätte stattfinden können, nö, nö, lieber selbst mal die Pläne finalisieren. Ah ja, doch, da ist ja was: Auf der allerletzten Seite steht dann noch der nette Satz: „Der Dialog mit den Bürger:innen wird im Rahmen unterschiedlicher Projekte weitergeführt.“ Ah ja. Wann? Wo? Welche Projekte? Hallo? Echo? Ist da jemand?

Und da frage ich mich schon: Wollt ihr mich eigentlich verarschen, liebe Stadt-Wien-Verantwortliche?

Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.

QOSHE - Kommunikationsposse Westbahnpark - Nunu Kaller
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Kommunikationsposse Westbahnpark

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24.03.2024

Vorausschickend: Ich liebe Wien, und ich bin auch sehr froh, dass in meiner Stadt ÖVP und FPÖ recht wenig zu melden haben. Über vieles der Wiener SPÖ kann man sich aufregen, vieles machen sie richtig. Manches aber so richtig ganz falsch. Vor ein paar Wochen war es ein kurzes Aufflackern in der Öffentlichkeit – die Stadt Wien präsentierte die Pläne rund ums Westbahngelände. Seit der Hauptbahnhof fertig ist und am Westbahnhof nur noch S-Bahnen, Regionalzüge und die Westbahn fahren, wird das riesige Gelände dahinter, das den 15. Bezirk in zwei Teile teilt, nicht mehr gebraucht.

Wobei, „nicht mehr gebraucht“ ist der falsche Ausdruck – die Stadt braucht diese unverbaute Fläche sogar sehr. Sie ist eine einzigartige Schneise quer durch dicht verbautes Gebiet, die frische Luft aus dem Wienerwald direkt in den sechsten und siebten Bezirk trägt. Noch dazu aus dem Westen – der häufigsten Windrichtung in Wien. Ich wohne direkt an dieser Schneise, und nicht selten merke ich im Sommer, um wie viel kühler es dort als mitten in den engen Gassen der Stadt ist. Ohne diese Schneise wäre es wohl schon jetzt in dem Kessel, der die Innere Stadt ist, noch heißer. Und nachdem wir alle wissen, dass Wien in den kommenden Jahren immer heißer werden wird, sollte eigentlich klar sein: Diese Schneise muss erhalten bleiben.

Das Areal ist von der darüberliegenden Felberstraße durch eine Böschung getrennt – jede:r, der oder die schon mal mit dem Zug am Westbahnhof eingefahren ist, sieht auf den letzten Metern, dass links die Häuser viel weiter oben stehen. Diese Böschung ist zusätzlich ein Naturspektakel, weil dort selten jemand geht und sich noch seltener jemand drum kümmert – die Natur sprießt so vor sich........

© Wiener Zeitung


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