Im Freistaat gab es von Anfang an immer wieder wilde Rebellen. Die CSU hat sie allesamt überlebt, ohne Schaden zu nehmen. Dann kam der Chef der Freien Wähler.

Es gibt da eine Geschichte, mit der niederbayerische CSU-Politiker sich lange Zeit Mut machten, wenn Hubert Aiwanger ihnen mal wieder besonders auf die Nerven ging. Sie spielt in der Nachkriegszeit im vergangenen Jahrhundert tief im Bayerischen Wald und handelt von einem gewissen Ludwig Volkholz, der in seiner Heimat unter dem Spitznamen „Jager-Wiggerl“ bekannt war. Er soll ein richtiger Dampfplauderer gewesen sein und als prominentes Mitglied der Bayernpartei die CSU mit wuchtigen Reden und derben Sprüchen geärgert haben, wo es nur ging.

Legendär ist, wenn man der mündlichen Überlieferung glauben darf, ein Wahlkampfauftritt in einer Dorfwirtschaft in den 1960er-Jahren, als Volkholz Landrat im ehemaligen Landkreis Kötzting werden wollte. „Wählt mich, dann kriagt’s a neue Bruck’n“, soll der Jager-Wiggerl gesagt haben. Die Bauern vor Ort zeigten sich überrascht: „Aber mia ham doch gar koan Bach!?“ Darauf der Jager-Wiggerl: „Dann kriagt’s hoid auch no’ an Bach.“

Übel nahmen ihm seine Anhänger derlei Unsinn nicht. Volkholz hatte sich in einer der ärmsten Gegenden im Bayern der Nachkriegszeit erfolgreich als Kämpfer gegen das Establishment inszeniert. Er saß Anfang der 50er-Jahre gleichzeitig im Bundestag und im Bayerischen Landtag. Im Rückblick bremsten nach kurzer Zeit nur zwei Umstände seine überregionale politische Karriere: seine allzu aggressive Redeweise und eine Verurteilung zu zehn Monaten Gefängnis, unter anderem wegen Anstiftung zum Meineid. Trotz mehrfachen Wechsels der Parteizugehörigkeit (Bayernpartei, FDP, Christliche Bayerische Volkspartei/Bayerische Patriotenbewegung) aber blieb Volkholz jahrzehntelang ein Stachel im Fleisch der CSU. Als er 1994 starb, verabschiedete ihn das Nachrichtenmagazin Spiegel als einen altbayerischen Politiker-Typus, den es so angeblich kaum noch gebe: „Jäh und unbeherrscht, rebellisch und originell bis an die Grenze der Lächerlichkeit.“

Tröstlich an dieser Geschichte war für Christsoziale lange Zeit, dass es im Freistaat von Anfang an und dann immer wieder solch wilde Rebellen gab, die CSU sie aber allesamt überlebte, ohne Schaden zu nehmen. Auch Hubert Aiwanger wurde, als er im Jahr 2008 mit den Freien Wählern erstmals in den Landtag einzog, so gesehen – als kuriose Episode. Der damalige CSU-Chef Horst Seehofer allerdings war alarmiert. Er charakterisierte die Freien Wähler als „Fleisch von unserem Fleisch“ und lehnte eine Koalition kategorisch ab in der Hoffnung, dass Aiwanger und seine Mitstreiter sich – ähnlich wie die Bayernpartei oder später die Republikaner unter Franz Schönhuber – irgendwann wieder erledigen lassen. Er sollte sich täuschen.

Und täuschen sollte sich auch sein Nachfolger als Ministerpräsident und CSU-Chef, Markus Söder, der Seehofers Diktum ignorierte. Er entschied sich nach der Wahl 2018 für den Weg des geringsten Widerstands und ging eine Koalition mit den Freien Wählern ein in der Hoffnung, sie einzuhegen und kleinzuhalten. Sie sollten bestenfalls als Anhängsel der CSU erscheinen und ihr im Wettbewerb mit SPD und Grünen im Bund Bewegungsfreiheit sichern.

Doch auch dieses strategische Konstrukt hatte einen entscheidenden Haken: Anders als all die anderen Freien Wähler im Landtag und im Kabinett ließ Aiwanger sich nicht einhegen und kleinhalten. Im Gegenteil. Er erwies sich als unbeherrschbar. Die vielen kleinen politischen Scharmützel in der Koalition konnten ihm nichts anhaben. Er schüttelte sich, wenn er gerüffelt wurde, und machte dann weiter wie zuvor. Und auch aus den sehr ernsten Konflikten – seine Haltung zur Impfpflicht während der Coronapandemie, sein umstrittener Auftritt bei der Demonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding und das ekelhafte Nazi-Flugblatt aus seiner Schulzeit – ging Aiwanger jeweils gestärkt hervor.

Mit der Neuauflage der ungeliebten, aber aus Sicht der CSU mittlerweile auch alternativlosen Koalition mit den Freien Wählern hat sich der Umgang miteinander geändert. Söder und seine Mitstreiter sind dazu übergegangen, Aiwanger mit seinem Politikstil nicht länger gewähren zu lassen. Sie nehmen ihn jetzt auch offensiv als Konkurrenten wahr. Die Kritik kommt zum Teil auf direktem Weg von CSU-Kabinettsmitgliedern oder von Klaus Holetschek, dem Chef der CSU-Landtagsfraktion. Sie kommt aber auch aus allen möglichen anderen CSU-nahen Ecken, insbesondere aus der Wirtschaft.

Eine wohlwollende Kritik ist das nicht: Aiwanger solle seine Arbeit als Wirtschaftsminister machen, statt von Bauern-Demo zu Bauern-Demo zu springen und populistische Reden zu halten. Er solle sich endlich um den Bau von Windrädern und Stromtrassen kümmern, statt die Schuld an der vermurksten Energiewende in Bayern bei anderen zu suchen. Er solle sich darauf konzentrieren, tatsächlich etwas für Industrie, Mittelstand und Handwerk zu tun, statt bei Bürgerinnen und Bürgern Unmut und Ängste zu schüren, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Und er solle sich aktiv in die Allianz der Demokraten gegen Rechtsaußen einreihen, statt Demonstrationen gegen die AfD als „linksextremistisch unterwandert“ zu diffamieren.

Aiwanger reagiert trotzig – umso mehr, je deutlicher er kritisiert wird. Als Wirtschaftsminister ist er seit mehr als fünf Jahren für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Freistaat zuständig, aber für das mögliche Scheitern des dringend notwendigen Windparks im südostbayerischen Chemiedreieck macht er Söder und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) verantwortlich. Begründung: Die Staatsforsten, auf deren Grund die Windräder errichtet werden sollen, fielen erst seit der jüngsten Regierungsneubildung in sein Ressort. Tatsächlich hat er kurz vor dem Bürgerentscheid gegen einen Teil des Windparks mindestens eine wichtige Veranstaltung vor Ort abgesagt, um an einer Bauern-Demonstration teilzunehmen – da war er schon seit Monaten für die Staatsforsten zuständig. Ein aktiver Einsatz für den Windpark, der zum Erhalt der hochmodernen chemischen Industrie in der Region beitragen soll, ist in den vergangenen Monaten nicht sichtbar geworden.

Auch in dem Trauerspiel um den Ausbau der Stromtrassen, die von Norden nach Bayern führen sollen, weist Aiwanger jede Schuld von sich. Fakt aber ist: Der Freie-Wähler-Chef war, als er noch in der Opposition saß, beim Protest gegen die „Monstertrassen“ ganz vorn mit dabei. Auch als Wirtschaftsminister tönte er noch im Jahr 2020: „Ich will keine dieser Trassen.“ Nach der Landtagswahl aber vollzog er eine Kehrtwende um 180 Grad. Neben den Trassen SüdLink und SüdostLink brauche Bayern eine dritte große Stromautobahn aus Norddeutschland, forderte Aiwanger und garnierte seinen Kurswechsel sogar noch mit heftigen Attacken auf die für die Trassenplanung zuständige Bundesnetzagentur. Deren Chef Klaus Müller sei schließlich „grüner Parteigänger“ und habe „vielleicht bei vielen Themen eine andere Vorstellung als der Freistaat Bayern“.

Zur wachsenden Trotzigkeit gesellt sich neuerdings eine Redeweise, die man bisher nur aus dem Universum der Verschwörungserzählungen kennt. Die Kritik an seinem „Demo-Hopping“ weist Aiwanger mit den Worten zurück: „Weil die, die mir nichts Gutes wollen, mich im Büro einsperren wollen und mich vom Volk wegsperren wollen.“ Er fabuliert von Leuten „im System“, die angeblich „Dinge verhindern wollen“ und versteigt sich sogar zu der abenteuerlichen These, dass die Schließung von Dorfwirtshäusern gewollt sei, damit am Stammtisch nicht mehr politisiert werde.

Hinter dieser Redeweise steckt ein zentrales Motiv, das schon seit längerer Zeit sichtbar ist. Für Aiwanger teilt sich die politische Welt in zwei Sphären: Auf der einen Seite stehen er und das Volk, auf der anderen Seite sind böse Mächte am Werk. Dazu gehören selbstredend die Grünen. Wer ihm sonst noch Übles will, sagt er nicht, aber wer ihn kritisiert, steht aus seiner Perspektive unzweifelhaft auf der dunklen Seite der Macht. Den Ministerpräsidenten und CSU-Chef nimmt Aiwanger da ausdrücklich aus. Erst jüngst sagte er über sein Verhältnis zu Söder: „Es war unsererseits noch nie so harmonisch wie momentan.“

Das glauben mehrheitlich nicht einmal seine Parteifreunde bei den Freien Wählern, die ihm offenkundig klaglos folgen und seine schrittweise Radikalisierung bisher kritiklos hinnehmen. Und in den Reihen der CSU-Minister heißt es, dass es für die angebliche Harmonie eine simple Erklärung gebe: Söder rede mit Aiwanger kein Wort mehr, als unbedingt nötig ist. Es herrsche „kaltes Schweigen“. Das verstehe Aiwanger offenbar als Harmonie.

Noch mehr freilich herrscht bei der CSU Ratlosigkeit. Die Zeiten, in denen die Partei alle Mittel hatte, Rebellen aus der Peripherie vom Aufstieg ins Establishment fernzuhalten, sind vorbei. Über den „Jager-Wiggerl“ konnte man sich noch lustig machen. Bei Aiwanger bleibt den Christsozialen das Lachen längst im Halse stecken. Eine Serie einzelner Entscheidungen, die für sich genommen zumindest plausibel waren, führten aus Sicht der CSU zu einer Situation, in der es keine Entscheidungsfreiheit mehr gibt. Aiwanger kann sich nur selbst entzaubern. Einige christsoziale Strategen meinen, dass er da mittlerweile auf dem besten Weg sei. Andere sind nicht so optimistisch. Sie sagen: Den kriegen wir nicht mehr los.

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Bei der CSU sitzt der Stachel namens Hubert Aiwanger tief

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06.02.2024

Im Freistaat gab es von Anfang an immer wieder wilde Rebellen. Die CSU hat sie allesamt überlebt, ohne Schaden zu nehmen. Dann kam der Chef der Freien Wähler.

Es gibt da eine Geschichte, mit der niederbayerische CSU-Politiker sich lange Zeit Mut machten, wenn Hubert Aiwanger ihnen mal wieder besonders auf die Nerven ging. Sie spielt in der Nachkriegszeit im vergangenen Jahrhundert tief im Bayerischen Wald und handelt von einem gewissen Ludwig Volkholz, der in seiner Heimat unter dem Spitznamen „Jager-Wiggerl“ bekannt war. Er soll ein richtiger Dampfplauderer gewesen sein und als prominentes Mitglied der Bayernpartei die CSU mit wuchtigen Reden und derben Sprüchen geärgert haben, wo es nur ging.

Legendär ist, wenn man der mündlichen Überlieferung glauben darf, ein Wahlkampfauftritt in einer Dorfwirtschaft in den 1960er-Jahren, als Volkholz Landrat im ehemaligen Landkreis Kötzting werden wollte. „Wählt mich, dann kriagt’s a neue Bruck’n“, soll der Jager-Wiggerl gesagt haben. Die Bauern vor Ort zeigten sich überrascht: „Aber mia ham doch gar koan Bach!?“ Darauf der Jager-Wiggerl: „Dann kriagt’s hoid auch no’ an Bach.“

Übel nahmen ihm seine Anhänger derlei Unsinn nicht. Volkholz hatte sich in einer der ärmsten Gegenden im Bayern der Nachkriegszeit erfolgreich als Kämpfer gegen das Establishment inszeniert. Er saß Anfang der 50er-Jahre gleichzeitig im Bundestag und im Bayerischen Landtag. Im Rückblick bremsten nach kurzer Zeit nur zwei Umstände seine überregionale politische Karriere: seine allzu aggressive Redeweise und eine Verurteilung zu zehn Monaten Gefängnis, unter anderem wegen Anstiftung zum Meineid. Trotz mehrfachen Wechsels der Parteizugehörigkeit (Bayernpartei, FDP, Christliche Bayerische Volkspartei/Bayerische Patriotenbewegung) aber blieb Volkholz jahrzehntelang ein Stachel im Fleisch der CSU. Als er 1994 starb, verabschiedete ihn das Nachrichtenmagazin Spiegel als einen altbayerischen Politiker-Typus, den es so angeblich kaum noch gebe: „Jäh und unbeherrscht, rebellisch und originell bis an die Grenze der Lächerlichkeit.“

Tröstlich an dieser Geschichte war für Christsoziale lange Zeit, dass es im Freistaat von Anfang an und dann immer wieder solch wilde Rebellen gab, die CSU sie aber allesamt überlebte, ohne Schaden zu nehmen. Auch Hubert Aiwanger wurde, als er im Jahr 2008 mit den Freien Wählern erstmals in den Landtag........

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