Eigentlich hatte ich vor, das Gänse- und Ententhema an dieser Stelle einfach ausfallen zu lassen. Nicht, weil ich Gänsebraten nicht mag. Im Gegenteil, ich kann mit Berlin zu dieser Jahreszeit nur deswegen meinen Frieden schließen, weil ich mich mit Klößen, Rotkohl und einem gebratenen Federvieh zumindest bis hin zu Weihnachten rette.

Ich wollte es auslassen, weil mir für diese Kolumne schlicht nichts mehr Neues dazu einfiel. Ich war gansmüde. Gefühlt habe ich bereits alles irgendwann mal erzählt: Wie viel Federvieh jedes Jahr ab dem Martinstag in deutschen Bratröhren landet (sechs Millionen), ich war nicht nur mit dem Gänse- und Ententaxi unterwegs, sondern habe sogar ertragen, dass Rolf Eden (Gott hab ihn selig!) mir seine fleischlichen Genüsse en détail schilderte, während er an einer Entenkeule herumnagte. Außerdem habe ich mir die „Gans2go“ und die „Gans wie Oma“ nach Hause bestellt und mir auch sonst jedes Wortspiel im Zusammenhang mit Martins- und Adventsessen in Restaurants gegeben.

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Was soll ich sagen? Ich hab’s nicht durchgehalten. Das ausgelassene Gänseessen hat zu sehr auf meine Stimmung gedrückt. Jetzt bin ich spät dran, aber besser spät als gar nicht. Wenn Sie wie ich also auch verzichtet oder noch nicht genug haben, dann habe ich einen Tipp für Sie: Besuchen Sie dafür die Gaststätte Zur letzten Instanz. Tatsächlich ist mir dazu auch ein neues, wenn auch sehr doofes Wortspiel eingefallen, nämlich: „Gans wie bei Napoleon“. Das zumindest war meine gewählte Überschrift, als ich ein paar Freundinnen zum Gänseessen in die Letzte Instanz einlud. Es müssen mindestens zwei, noch besser aber vier Personen sein, um eine Martinsgans hier vorzubestellen und zu verzehren.

Heinrich Zille, Otto Nagel, Maxim Gorki, Jacques Chirac und Gerhard Schröder haben hier gespeist. Und es wird behauptet, am Stammtisch vor dem 200 Jahre alten Majolika-Kachelofen habe sogar einmal Napoleon gesessen und gegessen. Ob Gans oder nicht, weiß ich nicht. Zweifelsfrei ist die Gaststätte Zur letzten Instanz das älteste Restaurant Berlins: 1621 öffnete an der Waisenstraße eine Trinkstube. Den Namen Zur letzten Instanz erhielt sie aber erst 1924, wobei der Legende nach ein Rechtsstreit, der im benachbarten Gericht beigelegt und in der Kneipe begossen wurde, den Anstoß dazu gab.

So faszinierend das alles klingt, so sehr hörte es sich für mich bisher nach Busladungen voller Berlin-Touristen an. Vom Reiseveranstalter hierher geschickt, werden sie in Institutionen wie dieser abgefüttert: mit versalzenen Kartoffeln und in Soßen ertränktem Fleisch, dessen Soßenbinder und Deko-Schnittlauchröllchen gleich in Kübeln in der Küche angeliefert werden.

Dem sei hier nicht so, hatte mir jedoch ein verlässlicher Kollege vom Stadtmagazin Tip kürzlich versichert. Vor dreieinhalb Jahren etwa haben nämlich der Sohn und die Tochter des Inhabers Rainer Sperling das Traditionslokal übernommen, das der Vater seit kurz vor der Wende betrieb. Anja und André Sperling, die neue Generation, würden den Familienbetrieb nun mit „überzeugendem Mut zur Zeitgenossenschaft“ fortführen, so mein Kollege.

Früher trugen die Speisen wegen des nahen Gerichts lustige Namen wie „Justizirrtum“ (medium gebratenes Rinderkotelett) oder „Anwaltsfrühstück“ (Lammbratwürstchen und Bratkartoffeln, mit Früchten und Frisée dekoriert). André Sperling, der Sohn, machte Schluss damit. Er hatte direkt nach der Schule eine Kochausbildung absolviert und in Hamburg sowie in der Schweiz in gehobenen Hotel- und Restaurantküchen gearbeitet. Seine Schwester, die im Adlon Restaurantfachfrau lernte, steht ihm zur Seite, ebenso wie das sehr kundiges Personal, das sicherlich jede Menge Nachfragen zur Geschichte und Speisekarte beantworten muss.

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Die ist – abseits der bis zum 27. Dezember auf Vorbestellung angebotenen Martinsgans – sanft überarbeitet, weil in so einer Lokalität natürlich Königsberger Klopse, Kalbsleber Berliner Art und Senfeier mit Kartoffelstampf nicht fehlen dürfen. Doch auf der Karte entdecke ich auch eine Zwiebeltarte Tatin mit Blomeyers Landkäse, Bergkäseknödel mit Panko-Krumen und ein dry aged Oberpfälzer Landschwein. Indizien, dass der Koch Wert auf Handwerk und gute Produkte legt.

Die Gans ist eine Dithmarscher Biogans aus bäuerlicher Freilandhaltung, serviert wird sie in zwei Gängen und hat mit 54 Euro pro Person natürlich auch ihren Preis. Vorweg bekommen wir noch Brot: warme Scheiben eines buttrigen Brioches, mit groben Salzflocken auf der gebräunten Kruste. Sein süßlicher Ton steht im Kontrast zum herzhaften, stückigen Gänseschmalz dazu. Schon das verspricht, dass man hier wirklich weggekommen ist vom lieblosen Touristenteller für ein Publikum, das ohnehin nur einmal hier sitzen wird.

Die Brühe ist ein weiterer Vorgeschmack auf die Gans: Sie wird klar, ohne Einlage aufgetischt, dafür ist die kleine Suppenterrine mit einem Thymian-Briocheteig-Deckel überbacken. Den durchstößt man mit dem Löffel und weicht ihn wie bei einer Brotsuppe in die sehr heiße Gänsebrühe ein, die kräftige, dunkle Röstaromen hat.

Meine Freundinnen genießen es ebenso sehr wie ich, zumal wir in dem geduckten, gemütlichen Gastraum wie aus einer anderen Zeit sitzen. Kachelofen, Holzvertäfelung und die gusseiserne Wendeltreppe sind einzigartige Relikte. Zur Suppe trinken wir einen feinperligen Riesling-Schaumwein der Sektmanufaktur Andres & Mugler aus der Pfalz, der nach Apfel und Steinobst duftet. Auch die auf Deutschland (und ein wenig Österreich) fokussierte Wein- und Getränkekarte beweist, dass man hier gerade als Kontrast zum Ambiente auf der Höhe der Zeit ist.

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Dann landet die Gans in der Mitte, bereits tranchiert, was schade ist. Mit ihr kommen alle möglichen Beilagen in Schüsseln zur Selbstbedienung. Plötzlich wird es in unserer Runde still und geschäftig. Klöße hätte ich extra bestellen müssen, es gibt Fondantkartoffeln – also langsam in Butter und Brühe braun geröstete Kartoffelspalten. Ich finde das gar nicht schlecht. Sie füllen weniger, und so bleibt mehr Platz für den Braten samt seinen mit Marzipan gefüllten Bratäpfeln, Maronen in Butter, Grün- und Rotkohl. Den Rotkohl, der einmal nicht weihnachtlich überwürzt und weich gekocht, sondern säuerlich und knackig ist, loben wir alle. Zweimal bringt die Bedienung uns Nachschlag. Der Grünkohl schmeckt klassisch herzhaft nach Zwiebel und Gänsefett, hat aber viel zu viel Salz, was leider auch für die Kartoffeln gilt.

Brust oder Keule, das ist nun die Frage, wobei keiner die von der Küche berechneten Fleischportionen schafft. Die Brust, noch mehr allerdings das Fleisch der Keulen, ist ehrlicherweise zu trocken unter der knusprigen Haut mit ihrer relativ dünnen Fettschicht. Mit viel Jus, der geschmackliche Tiefe hat und nicht mit Fertigfond gestreckt scheint, wird diese Gans aber ein Festtagsgericht, das auch Napoleons würdig wäre. Allerdings, las ich, verzehrte der lieber „Huhn alla Marengo“: eine mit Tomaten, Champignons, Weißwein, manchmal auch Garnelen oder Flusskrebsen, frittierten Eiern und gerösteten Weißbrotscheiben geschmorte Poularde.

Ganze Biogans im Restaurant. Mindestens vier Personen und mit Vorbestellung: 54 Euro pro Person.

Preis Take-Away-Biogans: 265 Euro plus 20 Euro Pfand für die Boxen (5-6 kg Gans, Rotkohl, Grünkohl, Maronen, Fondantkartoffeln, Jus, Bratapfel), abholbar auch über die Feiertage.

Normale Speisekarte: Kleines zum Teilen 6–22 Euro, Hauptgerichte 14–28 Euro, Beilagen 4 Euro, Desserts 12 Euro

Zur letzten Instanz. Waisenstraße 14–16, 10179 Berlin, Mo+Di, Do–Sa 12–15 Uhr und 17.30–23 Uhr, im Dezember auch Mi geöffnet, Tel. 030/242 55 28

post@zurletzteninstanz.de, zurletzteninstanz.com

QOSHE - „Mehr als Gans gut“ – das Weihnachtsdinner im Restaurant Zur letzten Instanz - Tina Hüttl
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„Mehr als Gans gut“ – das Weihnachtsdinner im Restaurant Zur letzten Instanz

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10.12.2023

Eigentlich hatte ich vor, das Gänse- und Ententhema an dieser Stelle einfach ausfallen zu lassen. Nicht, weil ich Gänsebraten nicht mag. Im Gegenteil, ich kann mit Berlin zu dieser Jahreszeit nur deswegen meinen Frieden schließen, weil ich mich mit Klößen, Rotkohl und einem gebratenen Federvieh zumindest bis hin zu Weihnachten rette.

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Heinrich Zille, Otto Nagel, Maxim Gorki, Jacques Chirac und Gerhard Schröder haben hier gespeist. Und es wird behauptet,........

© Berliner Zeitung


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