Wo, bitte schön, gibt es sie, die neuen Italiener in Berlin? Die Restaurants, die unsere charmante, aber etwas im Gestern steckengebliebene italienische Gastronomie wachrütteln? Die mit ebensolcher Besessenheit an überraschenden Rezepturen, Ideen und einem modernen Ambiente tüfteln wie es derzeit die japanischen, koreanischen oder französischen Gastronomien der Stadt? Die den Italiener einmal mehr zum kosmopolitischen Ausgehort transformieren?

In New York oder in London gibt es solche neuen Läden viele – in Berlin sind sie noch immer die Ausnahme. Vielleicht kann dies auch kein Landsmann erledigen; vielleicht musste erst ein Russe mit armenischen Wurzeln kommen, der so groß denkt: Mikhail Mnatsakanov heißt er und lebt mit seiner Familie schon lange in der Stadt.

Zusammen mit seinem Vater Aram Mnatsakanov, der in seiner Heimat als russischer Jamie Oliver gilt, hat er vor Jahren das Mine&Wine in Charlottenburg eröffnet. Es ist der Lieblingsladen einer meiner Freundinnen: edel, weder steif noch altbacken und immer gut, wie sie sagt. Ein Italiener, auf den sich selbst der West-Berlin-Kritiker in meinem Freundeskreis festlegen kann, sage ich.

Mit meiner Freundin sitze ich nun in Mikhail Mnatsakanovs neuestem Projekt: dem Mina. Der Gastronom verknüpft hier zwei Genres, die ohnehin eng verbunden sind – die italienische und die levantinische Küche, teilen sie sich doch den Mittelmeerraum. Auf der umfangreichen Speisekarte liest sich das folgendermaßen: Bei den Vorspeisen etwa stehen Hummus und Baba ghanoush gegenüber von Carpaccio und Vitello tonnato, es gibt Parmigiana di melanzane wie mit Holzkohle gegrillte Aubergine. Salate, Fisch und Fleisch werden mal wie im Nahen Osten kombiniert und gewürzt, dann wieder alla Toscana, Milanese oder nach sizilianischer Art serviert. Nur Pizza, Pasta und Risotto bleiben ganz italienisch.

03.05.2024

gestern

•vor 5 Std.

In Moskau, St. Petersburg und Armenien ist die italienisch-levantinische Restaurantmarke Mina schon sehr erfolgreich. Und Mikhail Mnatsakanov sagt: Berlin fehlt es an großen Restaurants. Dass er dies erstmal auf die Fläche bezogen versteht, wird mir klar, als wir reinspazieren: Das Mina befindet sich im Pier 61/64, dem neu entwickelten Wasserfrontgebäude schräg gegenüber vom Ostbahnhof. Eigentlich sollten hier drei Restaurants entstehen. Doch Mnatsakanov wollte die gesamte Premiumfläche bespielen; das Mina ist in verschiedene Zonen unterteilt.

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Am Eingang empfängt der loungeähnliche Barbereich mit niedrigen Marmortischen, Mid-Century-Sesseln und DJ-Pult; statt reduziertem Interieur und harter Sitzbank, wie zuletzt sehr angesagt, regiert hier Opulenz. Böden, Wände, Mobiliar – alles ist in Weiß-, Grün- und Goldtönen gehalten. Die eigentlichen Farben bestimmt aber die Spree, je nach Tageszeit, denn der Gastraum und die offene Küche ziehen sich entlang einer gigantischen, bodentiefen Fensterfront, die nur zwei Meter über der Wasseroberfläche liegt. Bei geöffneten Fenstern verwandelt sich der Gastraum in eine Terrasse am Flussufer. Pflanzeninseln schaffen Unterteilungen zwischen den Marmortischen, um die sich entweder Sofas oder Wiener-Geflecht-Stühle gruppieren.

Dass hier 110 Gäste Platz finden, beeindruckt mich ebenso wie die vielen Details, von denen ich im Laufe des Abends immer mehr entdecke: die gute Akustik, die eine Unterhaltung mühelos macht, das Abluftsystem, das keine Küchengerüche durchlässt, der eigene Beistellhocker, den meine Handtasche bekommt – irgendwie lächerlich, aber auch glamourös.

Am langen Tisch neben uns tragen die Herren ausnahmslos Hemd zum dunklen Pullunder. Banker, Unternehmensberater? Auf jeden Fall der Albtraum aller, die einst die Mediaspree bekämpften. Aber so viel Ehrlichkeit muss sein: Das Publikum ist bunt, ich höre viele Sprachen. An Zweiertischen sitzen Paare, die säuseln, Freundinnen, die gackern, alle haben sich aufgestylt. Es macht Spaß, sich umzusehen, der Service läuft geräuschlos nebenbei. Kein Sommelier drängelt sich hier in den Vordergrund. Weinmäßig gibt es aus allen Regionen etwas bis zum Krug Champagner, leider nur wenig glasweise. Bei der Essenswahl müssen wir uns wenig erklären lassen: So opulent die Ausstattung ist, so unaufgeregt und intuitiv zu verstehen sind die Speisen.

Das Mina beschäftigt einen Brot- und Pizzabäcker, dem wir am Steinofen zugucken können. Das hauchdünne Knusperbrot, das mit aufgeschäumtem Ziegenkäse vorweg aufs Haus geschickt wird, hat dunkel gebräunte Stellen und schmeckt verdammt gut. Ebenso die Pizza, zur Abwechslung mal nicht die neapolitanische Variante: Statt viel Teig splittert hier der Rand, der Prosciutto ist zart, aber großzügig darauf gefaltet. Darunter befindet sich eine Trüffel-Käsecreme, die es aromatisch in sich hat.

Die Klassiker beider Küchen sind gut abgeschmeckt, handwerklich solide und ohne Fusion umgesetzt. Meine angebratenen Artischocken waren zuvor in Olivenöl und Essig mariniert worden und haben anschließend eine Röst- und Knoblauchnote sowie schmelzende Parmesanflocken abbekommen. Meine Freundin isst Muhammara, eine arabische Würzpaste aus gerösteter roter Paprika und Walnüssen. Sie steckt voller Umami und ist nur so scharf und rauchig, dass sie nicht verschreckt, aber auch nicht langweilig ist.

Ebenso leicht können wir uns auf die Spaghetti alle vongole einigen, die allerdings wärmer sein könnten. Vielleicht hatten wir einfach zu lange gequatscht, bevor wir den ersten Bissen genommen haben. Das Geheimnis dieses Gerichts liegt fast ausschließlich in seinen Zutaten: exzellentes Olivenöl, frischeste Venusmuscheln, sonnengereifte Tomaten, beste Gentile Spaghetti aus Gragnano. Hier wurden keine Kompromisse gemacht, auch stimmen die Verhältnisse: Die Nudeln sind stets mit genug Sugo ummantelt, die Venusmuscheln muss man nicht suchen.

34 Euro für eine Pasta sind zwar eine Ansage, bei der ich schlucken muss. Doch klar ist: Bei großen Restaurants wie diesen zahlt man auch dafür, sich für einen Abend wie in New York oder London fühlen zu dürfen.

Preisangaben: Brot 6-8 Euro, Vorspeisen 12-33 Euro, Suppen, Salate, Pasta und Pizza 16-44 Euro, Fisch- und Fleisch-Hauptgänge 26-46 Euro, Desserts 10-15 Euro

Mina Ristorante. Mühlenstraße 64, 10243 Berlin. Täglich 12-0 Uhr. www.minaberlin.de

QOSHE - Italienisch, israelisch, kosmopolitisch: Das Restaurant Mina küsst Berlins verschlafene Gastroszene wach - Tina Hüttl
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Italienisch, israelisch, kosmopolitisch: Das Restaurant Mina küsst Berlins verschlafene Gastroszene wach

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05.05.2024

Wo, bitte schön, gibt es sie, die neuen Italiener in Berlin? Die Restaurants, die unsere charmante, aber etwas im Gestern steckengebliebene italienische Gastronomie wachrütteln? Die mit ebensolcher Besessenheit an überraschenden Rezepturen, Ideen und einem modernen Ambiente tüfteln wie es derzeit die japanischen, koreanischen oder französischen Gastronomien der Stadt? Die den Italiener einmal mehr zum kosmopolitischen Ausgehort transformieren?

In New York oder in London gibt es solche neuen Läden viele – in Berlin sind sie noch immer die Ausnahme. Vielleicht kann dies auch kein Landsmann erledigen; vielleicht musste erst ein Russe mit armenischen Wurzeln kommen, der so groß denkt: Mikhail Mnatsakanov heißt er und lebt mit seiner Familie schon lange in der Stadt.

Zusammen mit seinem Vater Aram Mnatsakanov, der in seiner Heimat als russischer Jamie Oliver gilt, hat er vor Jahren das Mine&Wine in Charlottenburg eröffnet. Es ist der Lieblingsladen einer meiner Freundinnen: edel, weder steif noch altbacken und immer gut, wie sie sagt. Ein Italiener, auf den sich selbst der West-Berlin-Kritiker in meinem Freundeskreis festlegen kann, sage ich.

Mit meiner Freundin sitze ich nun in Mikhail Mnatsakanovs neuestem Projekt: dem Mina. Der Gastronom verknüpft hier zwei Genres, die ohnehin eng verbunden sind – die italienische und die levantinische Küche, teilen sie sich doch den Mittelmeerraum. Auf der umfangreichen Speisekarte liest sich das folgendermaßen: Bei den Vorspeisen etwa stehen Hummus und Baba ghanoush gegenüber von Carpaccio und Vitello tonnato, es gibt Parmigiana di melanzane wie mit Holzkohle........

© Berliner Zeitung


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