Falls es jemals „goldene Zeiten in der Gastronomie“ gab, sie scheinen vorbei zu sein. So jedenfalls klingt es, wenn man sich mit einigen Gastronomen unterhält. Es stimmt natürlich, dass gerade Fine-Dining-Restaurants mit Menüzwang um Gäste kämpfen. Gleichzeitig stimmt aber auch: In genau derselben Zeitspanne, in der Gehoben-essen-Gehen seinen Boom erlebte, gingen die „goldenen Zeiten“ für eine andere Institution zu Ende: die Traditions- und Eckkneipen. Tatsächlich ist die Zahl hier erschreckend: Von einst rund 20.000 Kneipen sind laut dem Berliner Hotel- und Gaststättenverband noch 500 übrig.

Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Sie werden nicht auferstehen. Die traditionelle deutsche Küche mit Eisbein, Königsberger Klopsen und Kalbsleber mag sich zwar per se nicht ganz überholt haben, wohl aber in der Form, dass sie mit Literfässern Speiseöl, Plastikkübeln Fertigsauerkraut und viel Großhändler-Fleisch zubereitet wird. Dazu haben wir im letzten Jahrzehnt zu viel über Handwerk und Kulinarik gelernt.

Eines dieser Opfer, wenn man es so nennen will, ist die Leibniz-Klause. Eine Charlottenburger Institution, in der Willy Brandt einst Skat spielte und die nach knapp 50 Jahren aufgab. Eine Kollegin widmete der Leibniz-Klause in der Berliner Zeitung einen ehrlichen Nachruf. Ich darf nun ebenso ehrlich den Nachfolger vorstellen: Le Consulat. Vor ein paar Monaten hat es eröffnet, statt Rinderroulade und Klopse kocht nun ein frankophiler Küchenchef namens Bennie Fischer, was er selbst liebt: Parfait aus Geflügelleber, Schnecken nach Burgunder Art, Topinambur-Suppe mit Roquefort, eine Label-Rouge-Poularde mit Steinpilz-Crème und Ochsenbäckchen in Rotweinsoße – also eine deutsch-französische Küche.

22.03.2024

•gestern

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22.03.2024

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Dass er das machen kann, dafür ist Inhaber Vinotharan Inparajah verantwortlich. Inparajah ist in Sri Lanka geboren und in Charlottenburg aufgewachsen. Mir scheint der Mann spezialisiert auf Übernahmen: Auf der Kantstraße hatte er zuletzt im ehemaligen Good Friends Too das auf südindisches Streetfood spezialisierte, knallbunte Mr. Chai Wala eröffnet. Davor verwandelte er das chinesische Nu Restaurant, das mau lief, in ein hypermodernes Noodlehouse mit Klassikern der vietnamesischen, thailändischen und japanischen Küche. Zudem führt er im Prenzlauer Berg das bei Barista-Nerds sowie Touristen beliebte Café Krone.

Der Mann zeigt: Es gibt keine „goldenen Zeiten“, nur das jeweils richtige Konzept. Oder, um ein Bild aus der Küche zu bemühen: Jeder Topf braucht den passenden Deckel. Den zu finden, ist Aufgabe eines guten Gastronomen. Allgemeingültige Rezepte existieren nicht, nur Dinge, die man dank Erfahrung und Feingefühl erspüren sollte, etwa: Jeder Ort bringt eine besondere Geschichte mit. Der Westen der Stadt funktioniert wohl auf immer anders als der Osten. Bestimmte Zeiten müssen bestimmte Bedürfnisse befriedigen.

Vinotharan Inparajah setzt bei der ehemaligen Leibniz-Klause daher nun auf ein „gutbürgerliches Bistro-Flair mit Glanz“. Oder wie sein Küchenchef es wortreich beschreibt: Auch wenn es hier vielleicht so aussähe, als sei er auf Sternefang – er mache eine gediegene, menschliche, gutbürgerlich-kiezige Küche.

Tatsächlich? Gutbürgerlich-kiezig wirkt das Le Consulat optisch zumindest nicht. Von außen zieht der blau-leuchtende Namenszug in der gigantischen Fensterfront die Blicke auf sich. Innen wurde mit warmen, edlen Farben und Materialien gearbeitet; Lindgrün, Petrol und Gold wechseln sich ab, ebenso stilvolle Granittische und Holztafeln. Auch mit Bild- und Tapetenmotiven aus der Botanik sowie einer Menge Lampen versucht man, Stimmung zu erzeugen. Gemütlich im Sinne eines gewachsenen Treffpunkts für „Mittagshungrige und Nachtschwärmer“, für „Schlipsträger und Jeansmaniacs“ – so lautetet die Gäste-Beschreibung der einstigen Leibniz Klause – ist es nicht. Dazu ist alles zu neu und durchdesignt, bis auf einen Buffetschrank blieb von der Klause nichts übrig. Muss auch nicht.

Um die Hemmschwelle herabzusetzen, bietet das Le Consulat tagsüber einen vegetarischen und nichtvegetarischen Mittagstisch an: eine Vorspeise, mal etwa eine Zwiebelsuppe oder einen Friséesalat mit pochiertem Ei sowie eine Hauptspeise, mal ein Steak au four oder Flammkuchen. Für 16 beziehungsweise 19 Euro. Eine gute Idee, wie ich finde.

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Ab 17 Uhr wird es teurer, jedoch sind die Portionen hier groß. Auch ohne etwas vorweg zu bestellen, garantiere ich: Ein Hauptgericht macht satt. Nur wäre es schade, die guten Vorspeisen auszulassen, die sich bestens zum Teilen eignen: Wer es echt französisch mag, dem empfehle ich die Escargots à la bourguignonne, also Weinbergschnecken klassisch gratiniert und in viel aromatischer Kräuterbutter versenkt. Wer vor der Konsistenz zurückschreckt, soll bitte die falschen Schnecken probieren, ebenfalls im gusseisernen Schneckenpfännchen serviert: Hier findet sich in jeder Pfannenvertiefung ein Röllchen Charolais-Rinderfilet in sherryhaltiger, süßlicher Demi-Glace-Soße, das auf einer Champignon-Kappe sitzt und mit Nussbutter gratiniert ist. Dazu wird hervorragendes Weißbrot von einem Bäcker aus der Nachbarschaft gereicht.

Nicht gekünstelt, sondern mit einem natürlichen Gefühl für die richtige Menge Würze und passende Zutaten schmecken die Hauptgerichte. Zudem werden die Gerichte endlich mal nicht nur lauwarm, sondern schön heiß serviert: Meinen geschmorten Ochsenbäckchen, klassisch in gebundener Rotweinreduktion, fehlt vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal. Ehrlich gesagt gefällt mir aber, dass alles so schmeckt, wie ich es erwartet hatte. Etwas überraschender und trotzdem grundsolide in der Aromenharmonie ist die gebratene Rote Meerbarbe auf einem Ragout vom Butternuss-Kürbis, mit bissfestem Safran-Fenchel sowie karamellisierter und gebrannter Paprikasoße.

Spätestens beim Bratapfel mit einem Vanille-Mascarpone-Eis und Fleur de Sel denke ich: Auch wenn die etwas zu durchgestylte Optik des Le Consulat nicht gerade niedrigschwellig-einladend scheint, das Versprechen, so zu kochen, wie er selbst gerne isst, hält der Küchenchef. Für mich ist diese uralte, nun wieder brandneue Erfolgsrezeptur das, was den Gastronomen gegenwärtig am ehesten „goldene Zeiten“ beschert.

Entrées 9-18 Euro, Hauptgerichte 23–34 Euro, Dessert 13–17 Euro, Mittagstisch 16–19 Euro

Le Consulat. Leibnizstraße 46, 10629 Berlin, täglich ab 17 Uhr, Telefon: 030 28645269, www.le-consulat.de

QOSHE - Restaurant Le Consulat: Die Zeiten einfach mal golden machen - Tina Hüttl
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Restaurant Le Consulat: Die Zeiten einfach mal golden machen

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24.03.2024

Falls es jemals „goldene Zeiten in der Gastronomie“ gab, sie scheinen vorbei zu sein. So jedenfalls klingt es, wenn man sich mit einigen Gastronomen unterhält. Es stimmt natürlich, dass gerade Fine-Dining-Restaurants mit Menüzwang um Gäste kämpfen. Gleichzeitig stimmt aber auch: In genau derselben Zeitspanne, in der Gehoben-essen-Gehen seinen Boom erlebte, gingen die „goldenen Zeiten“ für eine andere Institution zu Ende: die Traditions- und Eckkneipen. Tatsächlich ist die Zahl hier erschreckend: Von einst rund 20.000 Kneipen sind laut dem Berliner Hotel- und Gaststättenverband noch 500 übrig.

Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Sie werden nicht auferstehen. Die traditionelle deutsche Küche mit Eisbein, Königsberger Klopsen und Kalbsleber mag sich zwar per se nicht ganz überholt haben, wohl aber in der Form, dass sie mit Literfässern Speiseöl, Plastikkübeln Fertigsauerkraut und viel Großhändler-Fleisch zubereitet wird. Dazu haben wir im letzten Jahrzehnt zu viel über Handwerk und Kulinarik gelernt.

Eines dieser Opfer, wenn man es so nennen will, ist die Leibniz-Klause. Eine Charlottenburger Institution, in der Willy Brandt einst Skat spielte und die nach knapp 50 Jahren aufgab. Eine Kollegin widmete der Leibniz-Klause in der Berliner Zeitung einen ehrlichen Nachruf. Ich darf nun ebenso ehrlich den Nachfolger vorstellen: Le Consulat. Vor ein paar Monaten hat es eröffnet, statt Rinderroulade und Klopse kocht nun ein frankophiler Küchenchef namens Bennie Fischer, was er selbst liebt: Parfait aus Geflügelleber, Schnecken nach Burgunder Art, Topinambur-Suppe mit Roquefort, eine Label-Rouge-Poularde mit Steinpilz-Crème und Ochsenbäckchen in........

© Berliner Zeitung


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