Zum Jahresende stehen wir kulinarisch unter Stress. Es gilt, überlieferte Familienrezepte ohne Abweichung zu reproduzieren oder im Freundeskreis etwas möglichst Spektakuläres aufzutischen. Aber unsere Großeltern haben die traditionellen Rezepte oft schon ein Leben lang geübt. Zudem sind luxuriöse Dinnerpartys längst keine Angelegenheit von herrschaftlichen Haushalten mit Küchenpersonal mehr. Wie hoch die Latte liegt, lässt sich unter anderem an den Werbeprospekten der Discounter ablesen – bei Aldi gibt es derzeit etwa Austern und Entrecôte, bei Lidl Steinpilze und Forellenkaviar. Wenn man ansonsten eher nur gelegentlich mehr als die Mikrowelle bedient, kann da theoretisch also einiges schiefgehen.

Bei allgemeineren Notfällen hilft inzwischen die Künstliche Intelligenz zuverlässig und ausführlich weiter. Schwieriger wird es allerdings, wenn wir Ursache und Wirkung vielleicht gar nicht erfassen und somit auch nicht beschreiben können. Mit „zu viel Salz in der Suppe“ kommt der Algorithmus mühelos klar, mit Prompts wie „das Dessert schmeckt anders als bei meiner Mutter“ wird das deutlich schwieriger.

Daher, kurz vor Schluss, vier sachdienliche Hinweise zum kulinarischen Katastrophenschutz.

Es ist zunächst einmal hilfreich, die Rezepte – ob handgeschrieben von der Uroma, aus dem aktuellen Lieblingskochbuch oder von TikTok – so genau wie möglich zu befolgen.

Das ist oft leichter gesagt als getan, denn für unsere Vorfahren war vielleicht die eine oder andere heute vergessene Technik noch selbstverständlich, auch die Anleitungen von Profis enthalten oft fehlerhafte Angaben und ein Social-Media-Post überspringt für den Effekt vielleicht den einen oder anderen Schritt.

Beim Backen gilt übrigens schon beim Abwiegen der Zutaten die sogenannte Ein-Prozent-Regel: Weicht man mehr als ein Hundertstel von der vorgegebenen Menge ab, kann das unabsehbare Folgen haben. Beim Kochen kann man mitunter noch das eine oder andere ausgleichen.

In Schulkochbüchern finden sich selten Rettungstipps, denn, so der Grundgedanke, wenn man sich strikt an die Anweisungen hält, kann auch nichts schiefgehen. Daher Augen auf bei der Rezeptauswahl! Übersteigt die Anleitung meine Fähigkeiten? Kann ich das Rezept beim reinen Durchlesen einigermaßen nachvollziehen? Macht das überhaupt Sinn?

Wenn’s denn aber doch mal passiert ist, ist man ja nicht allein. (Wenn doch, etwa im Fall der Vorbereitung eines romantischen Abendessens zu zweit – weiter mit Tipp 3.) Irgendjemand ist immer am Tisch, der weiß, dass man geronnene Mayonnaise mit einem weiteren Eigelb einfach neu starten kann, oder was zu tun ist, damit das Entrecôte auch wirklich schön rosa auf den Teller kommt.

Aber Obacht: Viele Köche haben viele Meinungen und verderben den Brei beziehungsweise die Steinpilzpolenta. Es empfiehlt sich daher, eine Expertin oder einen Experten diskret auf ein Wort zu bitten, statt gleich die ganze Gästeschar in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Falls hingegen klar wird, dass wirklich keiner kochen kann, gibt es immer noch den Telefonjoker. Wenn sich Kloßteig oder Pelmenifüllung einfach nicht richtig anfühlen, wählen wir so früh wie möglich die Nummer eines älteren Familienmitglieds. Antworten wie „so ein bisschen mehr eben“ oder „nach Gefühl“ werden uns vielleicht in der Sache nicht weiterhelfen, tragen aber zum allgemeinen Wohlbefinden bei.

Beginnen wir mit dem Kochen, dann haben wir im Regelfall ein ganz bestimmtes Ergebnis im Kopf. Die Königinnenpastetchen müssen so aussehen wie bei Oma oder der vegane Hackbraten soll so schön knusprig aussehen wie auf dem Instagram-Post unseres liebsten Influencers. Für alle Amateurköchinnen und -köche lässt sich sagen, dass das Endresultat auf dem Teller eher selten genau so aussieht, wie wir uns das vorgestellt haben. Das Schöne aber ist, dass das am Tisch ja niemand weiß (Disclaimer: Funktioniert nicht mit den bereits genannten traditionellen Familiengerichten!). Wenn der Schweinebraten zerfällt, nennen wir ihn einfach „pulled pork“ und verkünden selbstbewusst „Das gehört so!“.

Wenn gar nichts mehr geht, darf man aber auch beim Jahresendkochen auf fertige Produkte zurückgreifen. Schließlich leben wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, und solange niemand fragt, ob die Mayonnaise selbst gemacht ist, muss man das auch nicht dranschreiben. Falls also abzusehen ist, dass ein Gericht oder ein Teil eines Rezeptes Schwierigkeiten machen könnte, ist es daher klug, eine oder mehrere handelsübliche Alternativen im Haus zu haben.

Auch wenn es in der Küche mitunter um Reaktionsgeschwindigkeit geht – angebranntes Fleisch oder Gemüse so schnell wie möglich aus Topf oder Pfanne nehmen, großzügig abschneiden und erneut anbraten –, ist es immer angebracht, die Ruhe zu bewahren. Wenn das Soufflé aus dem Ofen kommt und still und leise in sich zusammenfällt, kann man eh nichts mehr machen. Außer vielleicht, dafür zu sorgen, dass der Stimmung nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt. Im besten Fall ist nämlich ein verunglücktes Rezept der Stoff, aus dem neue Familienlegenden entstehen, während die perfekten Teller ganz schnell in Vergessenheit geraten.

Darüber hinaus empfiehlt es sich bei kulinarischen Katastrophen gelegentlich, den Horizont ein wenig zu erweitern, auch wenn Kochen, gerade unter Erfolgsdruck, eine hochemotionale und persönliche Angelegenheit ist. Es gibt Kriege und bewaffnete Konflikte, den weltweiten Klimawandel, den Rechtsruck in der Gesellschaft – und es gibt grieselige Mousse au Chocolat (vermutlich war die Schokolade zu flüssig). Das eine erfordert unsere volle Aufmerksamakeit, das andere kann man in diesem Fall getrost ignorieren.

Ein Krisenjahr jagt das andere: 2022 war schon hart und 2023 kein bisschen besser. Die Gegenwart mag düster sein, aber es gibt trotzdem die Möglichkeit, ihr etwas Versöhnliches abzugewinnen. Denn wo Scheitern ist, Gefahr oder gar Untergang droht, gibt es immer auch jemanden, der anpackt und versucht, einen Ausweg zu suchen.

Wir haben uns in unserer traditionell monothematischen Jahresendausgabe deshalb mit „Rettung“ beschäftigt, damit das Krisenjahr 2023 für uns alle etwas versöhnlicher endet. Es geht um Feuerwehrleute, Seenotretter:innen, mutige Aktivist:innen, Erlösung durch linke Politik, das Klima oder künstliche Intelligenz ebenso wie um das ultimative Wissen über Superhelden.

Zur gesamten Ausgabe 51/2023

Johannes Arens schreibt die monatliche Freitag-Kolumne „Der Koch“.

QOSHE - Festessen | Kniffe für ein gelungenes Weihnachtsmenü: Doch, das soll so! - Johannes Arens
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Festessen | Kniffe für ein gelungenes Weihnachtsmenü: Doch, das soll so!

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22.12.2023

Zum Jahresende stehen wir kulinarisch unter Stress. Es gilt, überlieferte Familienrezepte ohne Abweichung zu reproduzieren oder im Freundeskreis etwas möglichst Spektakuläres aufzutischen. Aber unsere Großeltern haben die traditionellen Rezepte oft schon ein Leben lang geübt. Zudem sind luxuriöse Dinnerpartys längst keine Angelegenheit von herrschaftlichen Haushalten mit Küchenpersonal mehr. Wie hoch die Latte liegt, lässt sich unter anderem an den Werbeprospekten der Discounter ablesen – bei Aldi gibt es derzeit etwa Austern und Entrecôte, bei Lidl Steinpilze und Forellenkaviar. Wenn man ansonsten eher nur gelegentlich mehr als die Mikrowelle bedient, kann da theoretisch also einiges schiefgehen.

Bei allgemeineren Notfällen hilft inzwischen die Künstliche Intelligenz zuverlässig und ausführlich weiter. Schwieriger wird es allerdings, wenn wir Ursache und Wirkung vielleicht gar nicht erfassen und somit auch nicht beschreiben können. Mit „zu viel Salz in der Suppe“ kommt der Algorithmus mühelos klar, mit Prompts wie „das Dessert schmeckt anders als bei meiner Mutter“ wird das deutlich schwieriger.

Daher, kurz vor Schluss, vier sachdienliche Hinweise zum kulinarischen Katastrophenschutz.

Es ist zunächst einmal hilfreich, die Rezepte – ob handgeschrieben von der Uroma, aus dem aktuellen Lieblingskochbuch oder von TikTok – so genau wie möglich zu befolgen.

Das ist oft leichter gesagt als getan, denn für unsere Vorfahren war vielleicht die eine oder andere heute vergessene Technik noch selbstverständlich, auch die Anleitungen von Profis enthalten oft fehlerhafte Angaben und ein........

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