Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“.

„Können wir bitte auf die Kirmes gehen?“, fragt mich der Fünfjährige. Kirmes? Ich meine, in seinen Augen Zuckerwatte, Liebesperlen und kandierte Äpfel zu sehen. „Jetzt ist keine Kirmes, das ist im Sommer.“ „Doch!“, sagt sein Bruder trotzig, „die mit den Engeln.“ Ich verstehe. Sie meinen den nahen Weihnachtsmarkt.

„Zwei Kinderpunsch, bitte“, bestelle ich, weil ich mir nicht sicher bin, ob es schicklich ist, am frühen Nachmittag und als einzelner Erwachsener im Beisein zweier Kinder schon Glühwein zu trinken. „Das macht 15 Euro“, sagt die junge Frau hinter der Theke, die vermutlich gerade den Bachelor in Wirtschaftswissenschaften macht. Sie schiebt zwei klobige Keramikbecher mit kitschigen Weihnachtsmarktmotiven in meine Richtung und ergänzt: „Vier Euro Pfand pro Becher.“

Dass Weihnachtsmärkte eine durch und durch kommerzielle Angelegenheit geworden seien, wird oft beklagt. Das sind sie eigentlich immer schon gewesen, denn sie gehen zurück auf einen spätmittelalterlichen Last Minute-Markt kurz vor dem Fest, auf dem man sich zunächst mit Lebensmitteln und später auch mit Geschenken eindecken konnte. Die festliche Atmosphäre und der Glühwein sind hingegen eher eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Wobei der letztere die erstere inzwischen oftmals zu bedingen scheint.

Etwas „Richtiges“ möchten die Kinder nun essen und wir machen uns auf die Suche. Die gastronomische Bandbreite ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. In den meisten Großstädten gibt es mehrere Weihnachtsmärkte – und die müssen sich profilieren. Auf dem „Markt der Engel“ gibt es neben den üblichen Bratwürsten, Reibekuchen und Dampfnudeln auch spanische Churros, Gemüsetwister und Brüsseler Waffeln. Außerdem Champagner extra brut, falls der Winzerglühwein zu lieblich ausfällt.

Hier im Rheinland, wo der fröhliche Konsum alkoholischer Getränke in der Öffentlichkeit Tradition hat, geht man ab Totensonntag nicht nur mit Freunden und Freundinnen, sondern auch mit Kollegen und Kolleginnen auf den Weihnachtsmarkt. Das ist nicht überall so. Als ich das zu Beginn meiner Berliner Jahre – vor den Attentaten vom Breitscheidplatz und in Straßburg – einmal auf der Arbeit vorschlug, wurde ich fast des Bundeslandes verwiesen. So kann man sich vertun.

Aber zurück nach Köln, wo in der Nähe der Veranstaltungsorte bis zum Heiligen Abend die Briefkästen versiegelt werden (und das nicht, weil zu viel Post an den Weihnachtsmann im nahegelegenen Engelskirchen erwartet werden würde).

Nach Punsch und Pommes haben die Kinder die Wahl zwischen einer Runde Karussell oder einer Tüte gebrannten Mandeln. „Nur drei Sachen auf so einer Kirmes ist ganz schön wenig“, mault einer von ihnen. In der Tat ist die Grenze zwischen den beiden Events für sie fließend. Das eine eher im Sommer, das andere kalendarisch noch im Herbst, aber eben mit Winteraccessoires. Auf der Kirmes muss man sich das Spielzeug beim Dosenwerfen oder mit Pfeil und Luftballon erarbeiten, auf dem Weihnachtsmarkt kann man den Nippes direkt kaufen (wenn auch zumeist für andere).

Das kulinarische Angebot aber besteht auf beiden Veranstaltungen aus den Hauptzutaten Fett, Salz und Zucker. Das ist nicht nur eine gute Grundlage für strammen Glühweinkonsum, sondern auch das, was Kinder sich unter „richtigem Essen“ vorstellen.

QOSHE - Kolumne | Weihnachtsmarkt ist Winterkirmes: Viel Fett, Salz und Zucker - Johannes Arens
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Kolumne | Weihnachtsmarkt ist Winterkirmes: Viel Fett, Salz und Zucker

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08.12.2023

Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“.

„Können wir bitte auf die Kirmes gehen?“, fragt mich der Fünfjährige. Kirmes? Ich meine, in seinen Augen Zuckerwatte, Liebesperlen und kandierte Äpfel zu sehen. „Jetzt ist keine Kirmes, das ist im Sommer.“ „Doch!“, sagt sein Bruder trotzig, „die mit den Engeln.“ Ich verstehe. Sie meinen den nahen Weihnachtsmarkt.

„Zwei Kinderpunsch, bitte“, bestelle ich, weil ich mir nicht sicher bin, ob es schicklich ist, am frühen Nachmittag und als einzelner Erwachsener im Beisein zweier Kinder schon Glühwein zu........

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