© dpa/Wolfgang Kumm

Die Große Koalition hat ein Massendelikt zum Verbrechen gemacht, jetzt wird die Reform zurückgedreht – weil sie blind für die Wirklichkeit war.

Heute, 20:00 Uhr

Zweieinhalb Jahre ist es her, da bewies die Politik, was von ihr gefordert wird: Handlungsfähigkeit. Der schreckliche Missbrauch von Kindern im nordrhein-westfälischen Lügde schockierte, die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) reagierte. Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ wurden einmal mehr die Strafen verschärft.

Hauptmerkmal war, den Besitz von Kinderpornografie fortan mit einem Jahr Haft als Mindeststrafe zu bedrohen. Juristisch galt das Delikt damit als Verbrechen. Taten mit einem geringeren Strafmaß sind als Vergehen eingestuft.

Der Unterschied ist fundamental. Es entfiel die Möglichkeit, Verfahren ohne Gerichtsverhandlung einzustellen, etwa gegen Geldauflagen. Auch konnte kein Strafbefehl mehr erlassen werden. Verbrecher kommen vor den Richter.

Nun räumt Lambrechts Nachfolger Marco Buschmann (FDP) das wieder ab. Er hat ein Gesetz vorgelegt, das die Reform in diesem Teil rückgängig macht.

Es war überfällig. Zunehmend haben die Kinderporno-Fälle nichts mit pädosexueller Kriminalität zu tun, sondern mit Jugendlichen, die in Chats mit „krassen Bildern“ auf Verbotenes neugierig machen.

Oder arglosen Eltern, die entsetzt das aufgefundene Material speichern, um Versender zu verfolgen. Leider auch ein Verbrechen. Minder schwere Fälle sieht das Gesetz nicht vor.

Wenn Strafe und Schuld nicht zusammenpassen, darf Strafe nicht verhängt werden. Diese einfache rechtsstaatliche Regel wurde übergangen, weil sich der Gesetzgeber treiben ließ.

Stimmung war wichtiger als Vernunft, das Symbol wichtiger als die Wirkung. Warnungen, dass es die Falschen trifft, gab es zuhauf. Sie wurden schlicht ignoriert.

Wer in aufgeheizter Stimmung mit dem Strafrecht kommt, verspricht mehr, als gehalten werden kann. Dem Strafrecht ist zu eigen, dass es zu spät kommt; nämlich dann, wenn die Tat getan, das Unrecht begangen, der Schaden eingetreten ist. Dass es „schützt“, ist von allen Effekten, die es hat, derjenige, der am stärksten überschätzt wird.

Es bedarf keiner Fantasie, um vorwegzunehmen, welche digitalen Szenarien bei der Kinderpornografie durch KI-Technik erst noch möglich werden. Millionenfach multipliziert, global verteilt. Strafrecht muss damit umgehen. Verhindern wird es wenig.

Zur Startseite

QOSHE - Gesetze gegen Kinderpornografie : Strafen sind falsch, wenn sie maßlos werden - Jost Müller-Neuhof  Kommentare
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Gesetze gegen Kinderpornografie : Strafen sind falsch, wenn sie maßlos werden

3 0
20.11.2023

© dpa/Wolfgang Kumm

Die Große Koalition hat ein Massendelikt zum Verbrechen gemacht, jetzt wird die Reform zurückgedreht – weil sie blind für die Wirklichkeit war.

Heute, 20:00 Uhr

Zweieinhalb Jahre ist es her, da bewies die Politik, was von ihr gefordert wird: Handlungsfähigkeit. Der schreckliche Missbrauch von Kindern im nordrhein-westfälischen Lügde schockierte, die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) reagierte. Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ wurden einmal mehr die Strafen verschärft.

Hauptmerkmal war, den Besitz von Kinderpornografie........

© Der Tagesspiegel


Get it on Google Play